Wer kann solche Rennen noch verantworten?

Rodriguez´ Tod beweist:
Wo 300km/h schnelle Rennwagen starten, heben langsame Lückenfüller nichts zu suchen

Beim 6-Stunden-Rennen für Tourenwagen 1969 auf dem Nürburgring kollidierte der führende Porsche 911 von Rolf Stommelen mit dem überrundeten Fiat 124 des Hannoveraners Fiedeler. Der Porsche zerschellte an einem Baum, Stommelen blieb unverletzt, Fiedeler fuhr weiter.
Am 21. März 1970 verlor des Brite Vic Elford beim 12-Stunden-Rennen in Sebring/USA seinen zweiten Platz, als ihm ein mehrfach überrundeter Porsche 911 beim Anbremsen einer Spitzkehre den Weg abschnitt. Der Porsche 917 blieb mit Totalschaden liegen, der unverletzte Elford ging auf den Schuldigen mit einem Messer los („I shall kill him“) und musste von seiner Boxen-Crew gewaltsam an einer Affekthandlung gehindert werden.
Der Schweizer Porsche 911-Fahrer Andre Wicky brachte am 17. Mai 1970 beim 1000 km-Rennen in Spa den Porsche 917 von Helmut Kelleners vor einer schnellen Kurve beim Überrundungsvorgang in Bedrängnis. Mit zerschlagener Frontpartie schied Kelleners nach einem spektakulärem Dreher aus. Wicky fuhr weiter.
Am 25. April 1971 löste der Lausanner Pelzhändler Hans Meier mit seinem Porsche 907 beim 1000-km-Rennen in Monza fast eine Katastrophe aus. Beim Überrunden krachte der Ferrari 512 M des Italieners Merzario in Meiers Wagen, Jacky Ickx´ Ferrari 312 P fuhr in die Trümmer. Meiers Porsche brannte aus, dem Schweizer mußte ein Beim amputiert werden, Merzario und Ickx blieben unverletzt.
Beim Training zum diesjährigen 24-Stunden-Rennen in Le Mans knallte Jo Siffert mit seinem Porsche 917 bei „Maison Blanche“ in die Leitschienen, weil ein Porsche 911-Fahrer nicht in den Rückspiegel schaute.
Clay Regazzoni verlor am 9. Mai 1971 beim 1000-km-Rennen in Spa seinen sicheren dritten Platz, als sein Ferrari 312 P wenige Runden vor Schluß von dem zweidutzendmal überrundeten Dulon des Briten Taylor von der Bahn gedrängt wurde.
Auf dem Nürnberger Noris-Ring übersah der überrundete Porsche 911-Fahrer Kurt Hild den führenden Ferrari 512 M von Pedro Rodriguez und löste „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ (Porsche-Rennleiter Rico Steinemann) den folgenschweren Unfall des Mexikaners aus. Rodriguez starb wenig später, Hild wäre auch zum zweiten Lauf gestartet, ,,wenn das Auto nicht kaputt gewesen wäre".

 

Diese Unfälle haben eines gemeinsam: Fahrer langsamer Wagen reagierten beim Überrunden durch wesentlich schnellere Autos entweder falsch oder gar nicht.
“Die meisten Spitzenfahrer", so weiß der Braunschwaiger Kurt Ahrens jun. zu berichten, „haben vor diesen Überrundungsvorgängen eine heillose Angst, denn so schlimm wie in den beiden letzten Jahren war es noch nie." Wie eventuelle Materialbrüche gehört dieses Kapitel laut Ahrens ,,zu den großen Gefahren unseres Sports".
So kann der Österreicher Dr. Helmut Marko „schon gar nicht mehr zählen, wie oft er durch langsamere Wagen behindert oder abgedrängt wurde, der Schweizer Jo Siffert hat sich „schon fast daran gewöhnt", der Brite Vic Elford möchte die Piloten fahrender Hindernisse „am liebsten umbringen, und der Belgier Jacky Ickx würde ,,am liebsten gar Langstreckenrennen mehr fahren, wenn die langsamen Autos nicht entfernt werden".


So deuten jetzt auch alle Indizien über den Noris-Ring-Unfall gegen den Münchner Hobby-Rennfahrer Hild. Dennoch kann man hier kaum von einer Schuld im herkömmlichen Sinne sprechen. Das Problem liegt tiefer. Ein Mann, der bisher lediglich bei kleineren Berg- und Rundstreckenrennen Erfahrungen sammelte and überdies nicht gerade als Talent zu bezeichnen ist, gilt in einem Feld von Elite-Fahrern einfach als überfordert. Und genau an dieser Stelle bleibt den Veranstaltern im allgemeinen (und dem Nürnberger Ausrichter im besonderen) ein Vorwurf nicht erspart: Warum werden solche Leute nicht spätestens nach dem Training wegen krasser Zeitunterschiede zur Spitze nicht strikt aussortiert und gegebenenfalls zu einem Hoffnungsrennen mit abgetrennter Wertung zusammengefaßt?
Laut AvD-Sportsekretär Herbert W. Schmitz hat nämlich jeder Veranstalter die Möglichkeit, „hier nach eigenem Ermessen zu befinden“. Schmitz selbst griff bei seinen Veranstaltungen diesbezüglich bislang hart durch. Wer im Training unzureichende Zeiten fuhr oder durch unsichere Fahrweise auffiel, „war schneller wieder zuhause, als ihm lieb war“.

 

Hild beispielsweise gehörte zu dem halben Dutzend jener Fahrer, die mit Ihren hubraumkleineren Autos 15 Sekunden und mehr pro Trainingsrunde langsamer fuhren, als die Schnellsten. ,,Der Kardinalfehler einiger Veranstalter", so bemerkt Schmitz an dieser Stelle sarkastisch, „liegt doch wohl darin, daß um eines vollen Starterfeldes willen manchmal alles auf den Startplatz getrieben wird, was vier Räder und einen Motor hat."
Um so unverständlicher bleibt, warum der Veranstalter in Nürnberg trotz des qualitativ hochwertigen Feldes nicht auf jene sechs Wagen verzichtete, die sich für ihre Verhältnisse schlecht und recht um den Kurs quälten. Hilds Porsche 910 wurde in der 12. von 41 Runden bereits zum zweitenmal von der Spitze überrundet (wobei auch der Unfall geschah), und die veralteten Porsche Carrera 6 des Amerikaners Barnes und des Saarbrückers Link wiesen am Ende der Gesamtdistanz 15, beziehungsweise 19 Runden Rückstand auf.

„Fahrfehler, Reifenschaden und technischer Defekt scheiden aus. Alles deutet darauf hin, daß Rodriguez beim Überrunden nach links auf den Sandstreifen abgedrängt wurde, von wo aus das Verhängnis seinen Lauf nahm." So lautete das Ergebnis der Rodriguez-Unfall-Ermittlungen im Hause Porsche, dessen Rennleiter Steinemann sich inoffiziell in die Untersuchungen eingeschaltet hatte. „Wir waren es dem erfolgreichsten Piloten unserer Marke schuldig, den wahren Sachverhalt herauszufinden.“
Um solche tragischen Unfälle in Zukunft auszuschalten, muß diese Forderung erfüllt werden:
Fahrer und Wagen, die im Training auf Rundstrecken bis fünf Kilometer Länge mehr als 15 Prozent, auf Rundstrecken bis zehn Kilometer mehr als zehn Prozent und auf Rundstrecken über zehn Kilometer mehr als 20 Prozent langsamer sind als der Durchschnittswert der drei Trainingsschnellsten, dürfen nicht mehr starten.

Rainer Braun


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