Das Unglück kam mit Voranmeldung

Millionärssohn bei den 200 Meilen von Nürnberg tödlich verunglückt
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Augenzeugen schildern das Unglück vom Norisring: "Es ging alles so irrsinnig schnell".

Nürnberg — Drei Tage vor dem Start zu den „200 Meilen von Nürnberg" wurde beim Veranstalter, dem Motorsportclub Nürnberg, noch einmal der Ernstfall geprobt: Funktionäre zündeten unweit der Stelle, an der Pedro Rodriguez gestern tödlich verunglückte, einen Personenwagen an. Das geschah zu dem Zweck, den Streckenposten zu zeigen, wie brennende Autos gelöscht und wie ihre Insassen gerettet werden können. Als gestern Nachmittag der Rennwagen von Pedro Rodriguez an einer Mauer zerschellte und sich in einen Feuerball verwandelte, sprangen denn auch beherzte Streckenposten, Feuerwehrleute und Polizisten geradezu todesmutig in die Flammen und versuchten den Mexikaner zu retten. Ihr Einsatz war vergeblich.
Fassungslos schilderte MCN-Funktionär und Abschlepp-Unternehmer Helmut Viehmann gestern Abend der AZ: „Zunächst ging alles so irrsinnig schnell, daß wir wie betäubt waren. Wir sahen das brennende Auto und hatten zunächst nur schreckliche Angst, daß nachfolgende Autos in die rauchende Masse fahren könnten. Da setzten wir unseren Abschleppwagen mit dem hydraulischen Kran direkt vor die Leitplanken, um den Wagen von der Straße zu heben. Plötzlich erschütterte eine Explosion die Luft. Der Benzintank des brennenden Wagens detonierte. Feuerwehrleute besprühten das brennende Wrack bereits mit Pulverlöschern, als ich loslief. Das Feuer schlug mir an den Beinen hoch, meine Sandalen verbrannten, als ich den halb aus dem Wagen hängenden Rodriguez erreicht hatte. Ich wollte ihn aus den Trümmern ziehen, aber er lag verklemmt unter einer Strebe. Mit einem Fußtritt konnte ich die Strebe beiseite biegen, dann war auch noch ein Feuerwehrmann zur Stelle, der mir ein Paar Asbesthandschuhe in die Hände drückte. Gemeinsam hoben wir den Fahrer aus dem immer noch brennenden Fahrzeugwrack."
Brandmeister Hans Wagner von der Nürnberger Berufsfeuerwehr, der Helmut Viehmann bei der Bergung des Rennfahrers half: „Der Mann hat schrecklich ausgeschaut, er war völlig leblos, als wir ihn aus den Trümmern hoben. Trotzdem hoffte ich, daß er durchkommen würde!"
Der Mexikaner kam nicht durch. Er wurde 31 Jahre alt und ist der 39. Grand-Prix-Fahrer, der nach dem Zweiten Weltkrieg sein Leben für den Rennsport lassen mußte.

Auch sein Bruder starb den Rennfahrertod

Der mexikanische Millionärssohn war Rennfahrer aus Leidenschaft. Bereits mit zwölf Jahren startete er in seiner Heimat bei Motorradrennen. Mit 18 stieg er auf schnelle Sportwagen um und wurde international bekannt. Als Draufgänger, der er war, ließ er die Hände auch dann nicht von den Rennwagen, als sein Bruder Ricardo 1962 bei einem Autorennen tödlich verunglückte. Er wurde Werksfahrer bei Porsche und trug unter anderem entscheidend zum Gewinn der letzten Markenweltmeisterschaft des Stuttgarter Werkes bei. Als sich Porsche offiziell vom internationalen Rennsport zurückzog, startete er für das britische BRM-Team als Formel-1-Fahrer und feierte in der Fahrerweltmeisterschaft seine ersten Erfolge.
Auch nach Nürnberg wollte Rodriguez mit einem BRM-Wagen kommen. Aber die gewaltige 8,3-Liter-Maschine des vorgesehenen 760 PS starken CanAm-Spyders flog drei Tage vor dem Nürnberger Rennen bei einem Prüfstandlauf auseinander.

In letzter Sekunde Wagen geliehen

Um am Norisring dennoch dabei zu sein, besorgte sich Rodriguez praktisch in letzter Sekunde von dem Schweizer Rennstallbesitzer Herbert Müller einen Ferrari 512 M. Dieser Wagen leistet nur etwas mehr als 600 PS und hat nur 5 Liter Hubraum. Das bedeutete: der Mexikaner konnte gegen die fast übermächtige Konkurrenz der gemeldeten 7- und 8-Liter-Wagen nur mit halsbrecherischer Fahrweise schritthalten!
Als gestern um 14 Uhr die Startflagge zum ersten über 100 Meilen führenden Lauf fiel, setzte Rodriguez auch gleich alles auf eine Karte. Er fuhr, was sein Wagen hergab und übernahm bereits kurz nach dem Start die Führung vor dem Finnen Leo Kinunnen auf einem Porsche 917 Spyder.
Von Runde zu Runde wurden die beiden Wagen schneller und vergrößerten den Abstand zum Hauptfeld Meter um Meter. Bis der Wagen des Mexikaners plötzlich immer mehr zu schlingern anfing und der Reifen sich von der Felge löste.
Als dies geschah, hatten Rodriguez und Kinunnen in kurzem Abstand eben den Münchner Porschefahrer Kurt Hild überrundet. Der Wagen des Mexikaners wirbelte plötzlich nach rechts, flog gegen eine Brückenmauer, ging im selben Augenblick in Flammen auf und wurde als brennendes Wrack quer über die Fahrbahn an die gegenüberliegenden Leitplanken geschleudert. Kinunnen mußte seinen Porsche querstellen, um nicht in die Trümmer des Ferrari zu rasen. Aber während er das Kunststück schaffte, sein Auto auf der kurzen Distanz zum Halten zu bringen, aus dem Cockpit zu springen und sich vor dem Flammenmeer auf der Straße in Sicherheit zu bringen, raste der nachfolgende Münchner Hild in die brennenden Trümmer. An seinem Wagen entstand Totalschaden, er selbst entkam den Flammen unverletzt.

  Als der Ferrari von Rodriguez förmlich explodierte, hetzten todesmutige Helfer durch die Flammenhölle auf dem Asphalt und rissen den bewußtlosen Fahrer aus seinem Sitz. Rodriguez, dessen Körper regelrecht zerschmettert war, war zu diesem Zeitpunkt aber schon klinisch tot. Zwar gelang es während der Fahrt ins Krankenhaus, seinen Kreislauf noch einmal in Gang zu setzen und das Leben des Fahrers dann in der Klinik mit Elektroschocks um eine weitere halbe Stunde zu verlängern. Aber um 15.30 Uhr mußten die Ärzte resignieren: Einer der profiliertesten Rennfahrer der letzten Jahre war tot. Neben schwersten Brandverletzungen am Unterleib, mehrfachen Brüchen an beiden Beinen, Beckenbruch, Rippenbrüchen und schweren Gesichtsverletzungen hatte er auch einen komplizierten Schädelbruch erlitten.

Bei den „200 Meilen von Nürnberg" sollten gestern als vierter Lauf der diesjährigen „Interserie" zwei Läufe über je 100 Runden gefahren werden. Als nach 11 Runden im ersten Lauf das entsetzliche Unglück geschah, brach die Rennleitung den Wettbewerb sofort ab. Die Fahrer einigten sich deshalb mit der Rennleitung darauf, den ersten Wertungslauf beim Stand von elf Runden abzubrechen.

Todesnachricht erst nach dem Rennen

Als die Fahrer um 16.47 Uhr zu dem zweiten hundert Meilen starteten, wußten sie noch nicht, daß ihr Freund Pedro bereits um 15.30 Uhr für immer die Augen geschlossen hatte. Sie jagten sich erneut wie die Teufel um den Hochgeschwindigkeitskurs und stellten neuen Rundenrekorde auf. Erst als der Engländer Chris Craft auf einem McLaren M8E (7,6-Liter-Motor, 680 PS) als Erster die Ziellinie überfahren hatte und der letzte röhrende Motor schwieg, verkündeten die Lautsprecher den Zuschauern: „Pedro Rodriguez ist tot. Wir haben die traurige Pflicht, Ihnen das mitzuteilen. Bitte erheben Sie sich zu einer Gedenkminute von den Sitzen!"
Obwohl er nicht wußte, ob Rodriguez tot war oder weiterleben würde, war einer der Fahrer beim zweiten Lauf aus eigenem Antrieb nicht mehr dabei: Leo Kinnunen, der sympathische Finne, der nach drei Läufen in der „Interserie" führte. Er hatte miterlebt, wie der Wagen von Rodriguez an der Mauer explodierte und war selbst nur mit knapper Not dem Tod entronnen. Freiwillig verzichtete er auf einen weiteren Start.

Dirk de Lange


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