EIN
MANN MIT MUT
PEDRO RODRIGUEZ U
Race of Champions, Brands Hatch 1968:
Die erste Position hielt Jackie Stewart mit seinem Matra unangefochten.
Denn der auf Sichtweite herangekommene Rodriguez lag ohnehin eine Runde
zurück auf dem zweiten Platz. Eine klare und problemlose Situation
also, in einem nicht sehr bedeutenden Rennen.
Indes, John Young Stewart ist kaum der Mann, der sich gern überholen
lässt. Was würde Rodriguez also tun? Wie es sich für einen
Professional gehört, seinen zweiten Platz sichern und dort bleiben,
wo er war? Nichts von dem! Ein Stewart vor ihm – das war die Herausforderung
die es zu meistern galt. Nach einem Duell, das vor jeder Kurve und vor
jedem Eck erneut auf der Bremse entschieden wurde, schlüpfte Rodriguez
schließlich an dem resignierenden Schotten vorbei. Dieser Zweikampf
von nicht zu überbietender Spannung war der Höhepunkt des Rennens
- dramatisch und gefährlich, aber gänzlich unnötig.
Herausforderung und Kampf - dies war das Leben des Pedro Rodriguez aus
Mexico City. Für den Millionärssohn bedeutete der Rennsport
mehr als eine gesicherte Karriere im väterlichen Unternehmen. Obwohl
er Geld hatte und ein sorgenfreies Leben hätte führen können,
entschied er sich für die in seinem Fall jahrelang ermüdende
Laufbahn im professionellen Automobilsport. Sein Charakter? Er trat zurückhaltend,
fast schüchtern auf, sprach wenig, über private Dinge überhaupt
nicht. Aber er war ein Rennfahrer. Angehöriger einer Zunft, die den
Zweikampf am Limit sucht, die nicht geschlagen werden will und die - quasi
eine absolute Notwendigkeit - aggressiv bis zur Empfindungslosigkeit sein
muß. Wäre es anders, dann wäre Rodriguez ein vielleicht
recht guter, aber nicht bedeutender Amateurpilot des internationalen „Money-Sets“
in dieser Sportart geworden. Zum Profi, der ebenso gesucht wie gut bezahlt
wurde hätte es niemals gereicht.
Sein Werdegang in Stichworten: Am 18. Januar 1940 in Mexico City geboren.
Nach der Schule besuchte er die Universität, um Betriebswirtschaft
zu studieren. Das Studium nahm er nicht sonderlich ernst, sondern beschäftigte
sich mit dem Import europäischer Automarken nach Mexiko. Auf dem
Motorrad, eine 125-ccm-Adler, lernte er den Motorsport kennen. Gewann
sein erstes Rennen mit zwölf. 1955 startete er mit einem Jaguar XK
zum erstenmal bei einem Autorennen und gewann seine Kasse. Zusammen mit
seinem jüngeren Bruder Ricardo steuerte er zunächst auf eigenen
Fahrzeugen, später mit Ferrari des NART-Teams eine internationale
Karriere an. 1963 Sieg in den 500 km von Daytona. 1964 wieder ein Daytona-Erfolg
zusammen mit Graham Hill. Mit seinem Bruder entschied er 1961 und 1962
die 1000 km von Paris für sich. 1965 Sieg (mit Guichet) in den 12
Stunden von Reims. 1967 war seine erste volle Saison in der Formel 1 mit
einem Cooper-Maserati, gewann den GP von Südafrika.
|
|
1968
schloß er sich dem BRM-Team an, wurde Zweiter im GP von Belgien
und Dritter in den GP von Holland und Kanada. Seine größten
Erfolge errang er mit Sportwagen und Prototypen. Zusammen mit Lucien Bianchi
gewann er die 24 Stunden von Le Mans 1968 mit einem Ford GT40 des Wyer-Teams.
In den beiden letzten Jahren war er maßgeblich an den Markenweltmeisterschaftserfolgen
von Porsche beteiligt Von der Wyer-Crew wurde er als der beste Sportwagenpilot
überhaupt eingeschätzt.
Wenn ein Rennfahrer tödlich verunglückt, so wird in aller Regel
die nichtssagende Floskel "Tragik" strapaziert. Natürlich
ist der Tod eines Menschen tragisch, aber Pedro Rodriguez lebte ein Leben,
wie er es wollte. Er starb im Alter von 32 Jahren an einer Betonmauer
auf dem Norisring in einem geliehenem Ferrari, vielleicht wegen eines
technischen Defekts, wahrscheinlich aber wegen des Fahrfehlers eines anderen.
Es ist müßig, hierüber Untersuchungen anzustellen, denn
weder kann eine endgültige Klärung herbeigeführt werden,
noch ist es am Platze, von Schuld und Sühne zu sprechen. Allenfalls
kann bestätigt werden, daß der Motorsport eminent gefährlich
ist und von den Akteuren ein hohes Maß an Risikobereitschaft verlangt.
Nun denn...
Pedro Rodriguez war – im Gegensatz zu einigen seiner Kollegen - stets
bereit, dieses Risiko einzugehen. Er tat dies bewusst und hatte sogar
noch Spaß daran. Wer weiß, in seinen 32 Jahren hat Rodriguez
wohl mehr vom Leben gehabt als andere, die ein biblisches Alter erreichen.
Im menschlichen Dasein gibt es das große Heer der „grauen Mäuse“
und die wenigen außergewöhnlichen Persönlichkeiten. Dies
ist nicht unbedingt eine sensationelle Neuigkeit, aber es ist gut so,
daß es so ist.
Möglicherweise liegt die Tragik im Leben von Pedro auf einer ganz
anderen Ebene. Im Gegensatz zu seinem jüngeren Bruder Ricardo, der
1962 während des Trainings zum GP von Mexico in einem Lotus tödlich
verunglückte, galt er jahrelang nicht als der "geborene Rennfahrer".
Als die beiden noch zusammen starteten, wurden natürlich Vergleiche
angestellt. Und natürlich zog Pedro den kürzeren. Warum, das
weiß heute, nach den beiden letzten Jahren, wohl niemand genau.
|
|
Die damalige
Feststellung, Ricardo habe das Talent, Pedro indes nur den Nerv. schnell
zu fahren, erwies sich als unsinnig. Tatsache aber ist, daß Pedro
erst anerkannt wurde, nachdem sein Bruder nicht mehr am Leben war. Das ist
gewiß bitter und vielleicht auch ein Grund, warum Pedro nach Ricardos
Tod weiterhin Rennen fuhr — nach einer Bedenkzeit von einer Woche! Pedro
selbst rechtfertigte diese Entscheidung mit den Worten: „Die Liebe zum Motorsport
ist etwas, das man im Blut hat. Es ist etwas, das einfach vorhanden ist.
Niemand kann einem wirklich zeigen, wie man zu fahren hat. Man macht Fehler
und lernt dazu, und beim nächsten Mal geht‘s besser. Als mein Bruder
damals verunglückte, wollte ich mich zurückziehen. Aber nur eine
Woche darauf wußte ich innerlich schon, dass ich weitermachen würde.“
Ein weiterer Grund, warum Pedro erst recht spät in seiner Karriere
als "Top-Flight-Driver" anerkannt wurde, ist in der Tatsache zu
sehen, daß er insbesondere in der Formel 1 selten über das geeignete
Material verfügte, um zu brillieren. Es ist schlicht ein Ammenmärchen,
daß ein Fahrer ein Rennen allein durch fahrerischen Einsatz für
sich entscheiden kann. Dies gilt für Stewart, und das galt auch für
Rodriguez. Zwanzig PS weniger oder ein Getriebe, das sich schlecht schalten
läßt - so etwas läßt sich nicht durch Können
und Aggressivität wettmachen. So gut ist niemand, und so schlecht sind
auch die anderen nicht. Hatte Rodriguez den geeigneten Wagen, wie beispielsweise
1970 und 1971 bei Wyer-Porsche, dann war er einer der besten!
Pedro Rodriguez war - wahrscheinlich sehr zu Unrecht - zwar gefürchtet,
aber nicht beliebt im internationalen Motorsport. Häufig beklagten
sich andere Fahrer über seinen rauhen Fahrstil, wobei sie gern übersahen,
daß sie in der gegebenen Situation möglicherweise genauso gehandelt
hätten. Seine betonte Zurückhaltung Journalisten gegenüber
wurde oft als Arroganz ausgelegt. Auch dies war falsch. Rodriguez trennte
recht scharf zwischen Privatleben und dem Treiben an der Rennstrecke. Wer
will ihm daraus einen Vorwurf machen? Natürlich spielte bei seiner
Beurteilung auch sein Hang zu exzentrischem Auftreten eine gewisse Rolle.
Er sprach nur gebrochen englisch in einem seltsamen Sing-sang-Akzent, wohnte
im schicksten Pariser Viertel fuhr zeitweilig einen weißen Bentley
und würzte sein Essen demonstrativ mit Tabasco aus einer eigens mitgeführten
Flasche, weil er die europäische Kost so schrecklich lade fand.
Pedro Rodriguez - das war ein erstrangiger Rennfahrer, eine der farbigsten
Persönlichkeiten an den Rennstrecken dieser Welt, ein Abenteurer in
jungen Jahren und ein gereifter Mann zuletzt. Pedro hinterläßt
seine bildhübsche Frau Angelina, die nach seinem Tod wieder nach Mexiko
zurückgekehrt ist.
|