200 Meilen Nürnberg
Giganten-Party

Der knapp vier Kilometer lange Nürnberger Noris-Ring, einmal jährlich Schauplatz eines der attraktivsten Sportwagen-Rennen Europas, erlebte am 28. Juni eine Welt-Premiere: DAZ-Rennfahrer Helmut Kelleners ließ den 720 PS des brandneuen und superflachen March 707-Prototyps nach vorsichtigen Testfahrten erstmals freien Lauf in einem Rennen. Schon im Training markierte das unter DAZ-Farben startende PS-Ungetüm auf Anhieb Zeiten, die zu einem Platz in der zweiten Startreihe ausreichten und der stattlichen Porsche-, Ferrari- und Lola-Konkurrenz einen gehörigen Schrecken einjagten.
Kelleners Bemühungen, den March 707 gleich beim ersten Start zum ersten Sieg zu pilotieren, blieben freilich vergeblich, denn Neukonstruktionen pflegen erfahrungsgemäß mit kleinen technischen Gebrechen und Kinderkrankheiten behaftet zu sein. Im ersten der beiden Rennläufe über je 100 Meilen gab es Probleme mit der Frischluftzufuhr, und Kelleners - anfangs stets in der Spitzengruppe - konnte nur mit fast übermenschlicher Anstrengung den vierten Platz retten. Im Fahrerlager mußte man den Piloten halb ohnmächtig aus dem Cockpit heben, durch unerträgliche Heißluft (vom überhitzten Kühler her direkt auf das Gesicht des Fahrers zuströmend) am Ende seiner Kräfte.
Im zweiten Lauf sorgte eine eilends installierte „Klimaanlage" für merkliche Besserung. Kelleners ging mit einem Traumstart für 13 Runden in Führung, blieb weitere sieben Runden auf Platz zwei, rollte anschließend aber mit abgescherter Antriebswelle aus. Doch die Konkurrenz ist gewarnt: „Wenn dieses Auto hält, gibt es keinen Pardon mehr", sagt March-Direktor Max Mosley mit einer Überzeugung, die keinen Widerspruch duldet.
March hat bis jetzt erst einen 707 gebaut, zwei weitere Exemplare sollen in den nächsten Monaten fertiggestellt werden. Der in Nürnberg eingesetzte 707 ist mit einem bei Chaparral überarbeiteten 8,3-Liter-Chevrolet-V-8-Motor und Aluminium-Mono-coque ausgestattet. Die 720 PS lassen das Auto in 2,9 Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigen - womit auch die Traumstarts von Kelleners in beiden 100-Meilen-Heats erklärt sind.

Sensationell wie die Beschleunigung des March war der Endsieg von Jürgen Neuhaus im privaten 4,5-Liter-Porsche-917 des Gesipa-Teams. Der Wuppertaler fuhr auf dem nicht gerade unproblematischen und sehr schnellen Kurs besonders in der Schlußphase des zweiten Laufs dem beinharten Holländer Gijs van Lennep auf und davon, nachdem er im ersten Heat gegen Lennep knapp verloren hatte. Der größere Zeitvorsprung aus Lauf zwei reichte aber in der Addition zum klaren Neuhaus-Sieg. Van Lennep schien für den zweiten Durchgang nicht die optimale Reifenwahl getroffen zu haben und kämpfte zudem mit Bremsproblemen, während Neuhaus vom Vertragspartner Dunlop offenbar gut beraten war, und der 917 topfit seine Runden drehte.
Nach dem Abschlußtraining fand sich Neuhaus zunächst nur in der dritten Startreihe, was ihn veranlaßte, seine Trainingszeit anzuzweifeln. Die Zeitnahme notierte 1.18,5, Neuhaus wußte von 1.17,0 zu berichten und war stocksauer. Seine 1.16,1" im zweiten Rennlauf stimmten die Zeitnehmer allerdings nachdenklich. Der neue Rundenrekordhalter konnte sich ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen. Bevor der Wuppertaler mit 186,3 km/h den schnellsten Durchschnitt erzielte, der je auf dem Noris-Ring gefahren wurde, hatten van Lennep (im 1. Lauf) mit 1.16,4" und Kelleners (2. Lauf) mit 1.16,3" Rekordrunden markiert.
Schon im ersten Durchgang zeichnete sich der Doppelsieg der privaten Porsche 917 ab. Zahlreiche 5- und 7-Liter-Autos erlitten frühzeitig technische Defekte (so Teddy Pilette's Lola T 70 und Vic Elfords CanAm-McLaren) oder mußten kurzfristig an die Boxen (Jo Bonniers Lola T 70). Bevor Neuhaus in der sechsten Runde erstmals die Führung übernahm, hatte er noch mit Pedro Rodriguez (der sich „wegen des guten Startgeldes" zu einem Start im betagten Porsche 908/2 herabließ) ein Duell auszufechten, das aber schnell zugunsten des 917-Piloten entschieden war, nachdem sich der Mexikaner verbremste, drehte und neu anfahren mußte. Dennoch vermochte Rodriguez über die gesamte 200-Meilen-
Distanz - teilweise inmitten der schnellsten 5- und 7-Liter-Autos - seine Führungsposition im Klassement der 3-Liter-Wagen deutlich vor dem einzigen Werks-Alfa 33.3 unter Herbert Schultze zu halten.
Während sich der Italiener Moretti mit einem privaten Ferrari 512-S konstant auf Platz drei, Kelleners und Rodriguez ebenso ungefährdet auf Platz vier und fünf behaupteten, vollzog sich acht Runden vor Schluß des ersten Laufs ein Wechsel an der Spitze. Van Lennep fuhr Neuhaus im Schlußspurt um 4,6 Sekunden davon.


 

 

Die ersten 13 Runden des zweiten Laufes, dessen bereits eingeleiteter Start wegen eines drohenden Unwetters und orkanartiger Sturmböen vom Rennleiter in der Einführungsrunde vernünftigerweise wieder abgeblasen und um 15 Minuten verschoben wurde, gehörten eindeutig Helmut Kelleners im March 707. Sein Vorsprung auf Neuhaus betrug zeitweise zehn Sekunden - nicht genug allerdings, um den 40-Sekunden-Rückstand aus dem ersten Heat auszugleichen. Nach Kelleners Antriebswellen-Pech diktierte Neuhaus unmißverständlich das Tempo an der Spitze, van Lennep verlor pro Runde eine halbe Sekunde auf seinen Markenkollegen, der sein bisher überzeugendstes Rennen fuhr und einen Tag vor seinem 29. Geburtstag den zweifellos größten Erfolg seiner Privatfahrer-Laufbahn fixierte.
Lediglich Neuhaus und van Lennep schafften die volle Rundendistanz von insgesamt 82 Durchgängen (aus beiden Läufen). Rodriguez im prächtig gefahrenen 908 lag um eine, Schultze im 3-Liter-Alfa schon um zwei Runden zurück. Bonnier holte nochmals mächtig auf (nachdem er an den Boxen zwei Runden verloren hatte) und rettete mit drei Runden Rückstand auf die Spitze noch Platz sechs in der Endabrechnung. Während im Training die 5- und 7-Liter-Autos klar dominierten und nur zwei 3-Liter-Wagen im Feld der zehn Schnellsten zu finden waren, zeigte das Ergebnis, daß hub-raumkleinere Wagen auf schnellen Strecken gegen PS-Giganten nicht unbedingt chancenlos sein müssen: sieben Drei-Liter (ein Alfa, sechs Porsche) unter den ersten zehn bestätigten wieder einmal mehr, daß Standfestigkeit und gutes Handling oft mehr als 500 oder 600 PS wert sind . . .
Was die 60 000 Zuschauer in Nürnberg geboten bekamen, dürfte auf regionaler Ebene ziemlich konkurrenzlos sein. Großzügige Startgeld-Engagements (Elford und Rodriguez schossen diesmal mit fünfstelligen Zahlen den Vogel ab), stattliche Preisgelder, wohltuend angenehme Atmosphäre und Walter Hoyers abendliche Garten-Party mit einer Hundertschaft Top-Girls, bayerischer Brotzeit, Bier und Beat-Band garantieren diesem Rennen Jahr für Jahr absolute Star-Besetzung.
Als sich Vic Elford bei Rennleiter Gernot Leistner verabschiedete, vergaß er nicht zu fragen: „Wann ist die nächste Party?" Womit er die 200 Meilen 1971 meinte...




Rainer Braun

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