Interserie
200 Meilen von Nürnberg

Am 1. Januar 1972 beginnt in der Internationalen Markenmeisterschaft eine trübe Zeit. Die gerade 1969/70 unter beträchtlichem Aufwand entwickelten Fünfliter-Sportwagen haben dann keine Startberechtigung mehr. In Amerika können sie wenigstens noch bei den CanAm-Rennen starten, allerdings sind die speziellen CanAm-Wagen dort natürlich klar überlegen. Mit der „lnterserie“ versuchen nun europäische Veranstalter, eine Startmöglichkeit für die „dicken Brummer“ zu erhalten und deren Fahrern die Möglichkeit zu einer inoffiziellen aber recht gut dotierten Meisterschaft einzuräumen.
Das ehemalige Reichsparteitagsgelände in Nürnberg ist für Zuschauer hervorragend geeignet und könnte mit geringem Aufwand zu einer interessanten und sicheren permanenten Rennstrecke ausgebaut werden. Auch so aber sind die Fahrer recht zufrieden und kommen gern zum Norisring, wenn auch für die ganz schnellen Wagen die Straße stellenweise recht eng wird.

Eine fast afrikanisch heiße Sonne brannte auf die Betonanlagen der Strecke und der Tribünen nieder, als im Training die Gegner einander erstmalig abtasteten. Die ganz große Attraktion war der brandneue March 707, den Helmut Kelleners zu seinem allerersten Rennen brachte. Mit 8,3 Litern Hubraum und rund 700 PS schien er von der Papierform her seinen Gegnern keine Chance zu lassen. Die beiden für Ahrens und Elford von Porsche Salzburg gemeldeten 917 mit 5-Liter-Motoren. erschienen nicht - man konzentrierte sich lieber auf Watkins Glen. Mit 4,5-Liter-Motoren sollten die 917 von Gijs van Lennep, Gerard Larrousse, David Piper und Jürgen Neuhaus eigentlich keine Chance gegen die CanAm-Wagen von Kelleners, Alistair Cowin und Dieter Spoerry (beide McLaren M12) haben, bestenfalls gegen den Ferrari 512 S von Gianpiero Moretti. Die mit großvolumigen Motoren ausgerüsteten Lola T70 von Bonnier (7 Liter), Teddy Pilette (6,2 Liter) und Dick Attwood (6,0 Liter) sollten eigentlich auch noch für einen guten Platz gut sein, der Rest des Feldes war Staffage. Das galt natürlich auch für die Dreiliter, von denen Herbert Schultze auf seinem Alfa Romeo 33,3, Dr. Marko auf einem Martini-Porsche 908, Pedro Rodriguez auf dem Broström-908, Karl von Wendt, Helmut Leuze und Niki Lauda (alle 908) erwähnenswert waren. Larrousse und Piper starteten nicht, Elford stieg auf den McLaren M12 von Alistair Cowin um, David Prophet auf den für Spoerry gemeldeten McLaren.

Eine hervorragende Leistung, die nicht hoch genug bewertet werden kann, war die Trainingsbestzelt von Teddy Pilette auf dem Lola. Erst hinter van Lennep und Elford kam Kelleners auf dem noch unerprobten Super-March, dann Moretti auf dem Ferrari, Neuhaus auf dem Gesipa-917 und die beiden Lola von Bonnier und Attwood. Von den Dreilitern war Rodriguez vor Schultze Schnellster.



Das Rennen wurde in zwei 100-Meilen-Läufen ausgetragen. Mit einem Bilderbuchstart brachte Kelleners die March-Pferde am besten auf den Boden. Allerdings sollte die March-Demonstration nicht von allzu langer Dauer sein. Einige Regentropfen waren für die extremen Trockenreifen des PS-Monsters schon zu viel; in der zweiten Runde lagen Pilette und van Lennep vor ihm, dann fiel er zunächst immer weiter zurück. Der Regen wurde etwas stärker, und nun kam der große Augenblick für Pedro Rodriguez: In der fünften Runde lag der weiße 908 vor Neuhaus, Elford, van Lennep und Moretti an der Spitze des gesamten Feldes! Leider war Pilette bereits mit Motorschaden ausgeschieden.

Mit rasch abtrocknender Strecke änderte sich das bald wieder. Es etablierte sich, nachdem Elford mit einer defekten Zündkerze ausgefallen war, und Rodriguez sich einmal gedreht hatte, die Reihenfolge Neuhaus, van Lennep, Moretti, Kelleners, Rodriguez. Einen Kampf auf Biegen und Brechen lieferten sich die 908-Fahrer Leuze, von Wendt, Dr. Marko und Lauda. Während Marko einen schwachen Tag hatte, zeigte sich von Wendt in Hochform. Marko verschwand, als er Blatzheim touchierte, sich ein Reifenventil abriß und anschließend sein Wagen an der Box nicht mehr ansprang. Sein Landsmann Lauda kam schließlich sowohl an Leuze, als auch an von Wendt vorbei. Hinter ihm aber kam bereits ein Fahrer, der in der zweiten Runde durch einen Dreher weit zurückgefallen war und bei dem leichten Regenschauer auf ultratrockenen Firestone-Reifen behindert wurde: Herbert Schultze. Der Alfa Romeo war um 1500 U/min zu lang übersetzt, aber es langte im ersten Lauf immerhin noch zum dritten Platz bei den Dreilitern hinter Rodriguez und Lauda.

Während in der Dreiliter-Klasse hart gekämpft wurde, tat sich an der Spitze nicht mehr viel, bis in den letzten 10 Runden van Lennep eine Attacke auf den führenden Neuhaus startete, ihn schließlich sogar überholte und in wenigen Runden fast 5 Sekunden abnahm. An der weiteren Reihenfolge änderte sich nichts mehr; Moretti behauptete seinen dritten Platz vor Kelleners. Nach dem Rennen stellte sich heraus, daß es Kelleners durch Dämpfe im offenen Cockpit schlecht geworden war; am March (und an manchen anderen Wagen) wurden Luftschläuche zur Cockpitbelüftung für den zweiten Lauf montiert. Außer den erwähnten Ausfällen hatte von den bekannten Fahrern noch Attwood mit Stoßdämpferschaden aufgeben müssen und vermochte zum zweiten Lauf nicht mehr anzutreten, weil keine passenden Ersatzdämpfer vorhanden waren.





 

 

Zum zweiten Lauf stellten sich die Wagen in der Reihenfolge auf, in der sie sich im ersten Lauf plaziert hatten. Nach der Einführungsrunde wurde jedoch das Feld nicht losgelassen, weil mittlerweile ein derartiger Sturm eingesetzt hatte, daß die Fahnen von den Masten flogen und auf der Geraden der Porsche 911 des Rennleiters Leistner kaum zu halten war. Erst nach einer halben Stunde wurde dann endgültig gestartet, und wie beim erstenmal setzte sich Kelleners sofort an die Spitze. Diesmal allerdings war Kelleners nicht gewillt, sich von Dämpfen unterkriegen zu lassen.

Von Runde zu Runde baute er seinen Vorsprung vor Jürgen Neuhaus, Gijs van Lennep, Rodriguez, Bonnier und Moretti aus, bin dann das eintrat, was viele in Anbetracht des sich immer stärker bewölkenden Himmels erwartet hatten: Es begann zu regnen. Die schweren, großen Wagen hatten praktisch alle reine Trockenreifen aufgezogen, die Dreiliter dagegen außer Herbert Schultze, der auf dem Alfa gleichfalls Trockenreifen fuhr, verwendeten die „Intermediate“-Allwettermischung. Neuhaus kam Kelleners rasch näher und überholte ihn schließlich, kurz bevor der March mit Antriebswellenschaden ausfiel.

Umsonst warteten die Zuschauer darauf, daß van Lennep wie im ersten Lauf an Neuhaus vorbeigehen würde. Die Dunlop-Trockenreifen mit den handgeschnittenen dünnen Längsrillen am Neuhaus-Wagen mögen einen Deut besser gewesen sein als die völlig profillosen Firestone-Reifen von van Lennep, und auch dessen Bremsen mögen, wie er nachher sagte, etwas nachgelassen haben, aber Neuhaus fuhr trotz dieser möglichen kleinen Vorteile das Rennen seines Lebens. Immer größer wurde sein Vorsprung, und wie schnell er war, zeigt ein Vergleich der schnellsten Runde aus dem ersten Lauf, gefahren von van Lennep (1.16,9) mit der schnellsten Runde, die Neuhaus im zweiten Lauf mit 1.16,1 Minuten aufstellte, als die Strecke wieder abgetrocknet war!
Nach dem ersten Lauf hatte Jürgen Neuhaus seinem Konkurrenten van Lennep, als dieser ihm schlicht weggefahren war, bescheinigt: „Der hält einfach mehr hin als ich.“ Im zweiten Lauf dagegen ließ Neuhaus seinem Konkurrenten keine Chance und bestätigte die Beurteilung durch Helmut Kelleners, „ungewöhnlich talentiert“ zu sein. Er siegte schließlich mit 18 Sekunden Vorsprung, was ihm in der Addition der beiden gefahrenen Zeiten zum Gesamtsieg langte. Hinter van Lennep plazierte sich bereits Pedro Rodriguez, der auch den dritten Platz im Gesamtklassement belegte und die Prototypenwertunq vor Herbert Schultze gewann. Schultze und Lauda mußten sich wohl im zweiten Lauf dem Siebenliter-Lola von Bonnier beugen, verwiesen ihn aber im Gesamtklassement noch auf den sechsten Platz. Moretti, Dritter im ersten Lauf, hatte eine Reifenpanne. die ihn um seine Chancen auf einen guten Platz brachte.

Jürgen Neuhaus hat nicht nur einen ordentlichen Batzen Geld gewonnen, sondern sich selbst wohl auch das schönste Geburtstagsgeschenk gemacht: Einen Tag nach dem Rennen wurde er 30!

Jochen von Osterroth


 

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