Wechselspiel
Konnte Willi Kauhsen die ersten beiden lnterserie-Rennen
noch problemlos gewinnen, so mußte er sich nach dem verlorenen Silverstone-Duell
auf dem Norisring seinem Widersacher Kinnunen erneut beugen. Freilich
mußte der Aachener mit ungleichen Waffen kämpfen.
Zufrieden registrierte der Veranstalter den Massenaufmarsch
auf dem ehemaligen Reichsparteitaggelände. Trotz düsterer Wetterprognosen
- das Samstagstraining glich eher einem Motorbootrennen - fand sich eine
enorme Zuschauermenge ein. Somit war auch das für den Formel-2-Europameisterschaftstauf
am 9. September erforderliche finanzielle Polster geschaffen. Recht ungünstig
fiel dagegen die Bilanz des Kauhsen-Teams aus: Motorschaden an Kauhsens
917-10 Turbo im Samstagstraining! Sonntagmorgen trainierte Kauhsen noch
auf dem für Steckkönig vorgesehenen 917-10 mit Saugmotor, da
an seinem Wagen die Schaltgabel gebrochen war. In aller Eile wurde ein
Hubschrauber gechartert, der aus Weissach Ersatzteile holen sollte. Während
sich Kauhsen vergeblich bemühte, das Leistungsdefizit des Saugmotors
mit fahrerischem Können auszugleichen, drehte Steckkönig mit
dem „waidwunden“ 917-10 Turbo vorsichtig Runde um Runde. Inzwischen hatte
der Hubschrauber schon wieder Kurs auf Nürnberg genommen. Das Verladen
des Ersatzgetriebes hatte nur 2 Minuten gedauert. Leider waren mittlerweile
auch andere lebenswichtige Teile von Defekten heimgesucht worden, so daß
an eine Reparatur des Turbo-Porsches für den zweiten Lauf überhaupt
nicht zu denken war. Es sollte freilich noch ärger kommen.
Bei der Zieldurchfahrt des ersten Laufes entdeckte Kauhsen in letzter
Sekunde den langsam vor ihm ausrollenden McLaren des Engländers Griffiths.
Zwar gelang es Kauhsen, einer Kollision zu entgehen, doch mißglückte
das Ausweichmanöver. Die gewaltige Schleuderspur des Porsche endete
an den Leitplanken.
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Mit
viel Geschick und unter Verwendung der Frontverkleidung des Turbo-Porsche
gelang es den Mechanikern, den Wagen bis zum zweiten Lauf wieder klar
zu bekommen. Diesen fuhr der Aachener vorsichtig zu Ende. Obwohl Kauhsen
mit 76.300 Schweizer Franken weiterhin die Führung in der Interserie
behaupten konnte, dürfte der Fundus nach Abschluß der Serie
kaum zur Kostendeckung reichen. Da das Interserien-Reglement das Umsteigen
auf ein anderes Fahrzeug erlaubt, brachten auch andere Teams ihren gesamten
Fahrzeugpark mit. Für 3.400 DM „Unkostenbeitrag“ durfte sich Lasse
Sirviö mit dem vor zwei Jahren eingesetzten Porsche 917-Spider des
AAW-Teams vertraut machen. Ein sechster Platz im ersten Lauf und ein Unfall
im zweiten gestalteten für den kleinen Finnen die Relation zwischen
Soll und Haben allerdings ungünstig.
Während einige Rallye-Fans Zasadas Safari-Porsche beäugten,
stieg der neue Besitzer dieses Wagens in den 917 des Gelo-Teams, kostenlos
wohlgemerkt. Jürgen Barth kassierte auf dem rotgelben Spider immerhin
7.000 „Fränkli“, die als „Aufwandsentschädigung“ in die üppig
gefüllte Gelo-Kasse wanderten. Georg Loos fügte für seinen
zweiten Platz im Gesamtklassement weitere 13.000 hinzu, konnte aber von
Glück reden, daß er einen Teil davon der Kulanz des Rennleiters
zu verdanken hatte. Weil der Turbo-Porsche des Kölner Immobilienmaklers
beim zweiten Lauf nicht anspringen wollte, verfuhr Rennleiter Leistner
nach dem Motto „ohne Loos geht‘s nicht los“ und verschob den Start um
einige Minuten. Die anderen Fahrer waren einverstanden und setzten sich
erst nach Ablauf der „Galgenfrist“ in Bewegung. Mit etwas Verspätung
eilte Loos hinterher. Eine Verzögerung im Zeitplan und besagtes Wohlwollen
hatten Pilette einen Motorwechsel zwischen dem für die Startaufstellung
maßgeblichen Sonntagstraining und dem Beginn des ersten Laufes ermöglicht.
„C´est ridicule, das schaffen wir nie“, resignierte der Belgier.
Bei den VDS-Mechanikern ging es drunter und drüber, aber nach zwei
Stunden war das Reservetriebwerk installiert. Ein lächerlicher Defekt
an dem Regulierungsventil des Morand-Turboladers warf Pilette aus dem
Rennen. Undank ist der Welten Lohn: auch im zweiten Lauf schied Pilette
aus.
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Der
Turbolader funktionierte einwandfrei, Pilette lag auf dem zweiten Platz,
da brach rechts hinten die Radaufhängung. In Silverstone hatte Morand
der Felder-Mannschaft den Vorschlag unterbreitet, Kelleners´ M20
mit zwei Turboladern auszurüsten. Da die von McLaren gelieferten
8,3-Liter-Motoren nicht die gewünschte Standfestigkeit gezeigt hatten,
willigte Felder ein. Mit viel Eifer stürtzte sich Kelleners auf das
neue Projekt. Probleme mit der Thermik — nach Versuchsfahrten in Hockenheim
hatte man zusätzliche Ölkühler installiert — will Kelleners
in Zusammenarbeit mit Morand noch lösen. Ein defekter Ölfilter
beschränkte das Debüt des McLaren M20-Turbo zwar nur auf zwei
Runden, doch ließ sich Geldgeber Felder nicht entmutigen.
Michel Weber schien die lange Rennpause nicht
geschadet zu haben. Er pilotierte Felders M8F, um diesen notfalls im zweiten
Lauf an Kelleners. abzutreten. So weit sollte es allerdings nicht kommen.
Aus der linken Zylinderkopfdichtung des Chevy-Motors tropfte Öl und
von den 16 Litern Kühlwasser blieb außerdem nur noch eine kleine
Pfütze übrig. Erstaunlicherweise erreichte Weber noch das Ziel
des ersten Laufes, nur 52 Sekunden hinter Sieger Kinnunen. Loos und Kauhsen
mußte sich der Offenbacher sogar nur um vier beziehungsweise zwei
Sekunden geschlagen geben. Ernst Kraus wurde von einem heimtückischen
Defekt, der auch Kauhsen zu einem kurzen Boxenhalt gezwungen hatte, im
ersten Lauf gehandicapt. Austretendes Radlagerfett — der Simmering hatte
sich gelöst — gestaltete jedes Bremsmanöver zum Abenteuer. Dennoch
vermochte der Garmischer seinen vierten Platz in der Interserienklassifikation
um 8.500 Franken zu bereichern.
Reinhold Jöst sorgte dafür, daß den Zuschauern kein langweiliger
Vorbeimarsch geboten wurde. Mit seinem „Zweitwagen“ — der am Nürburgring
zerlegte Porsche 908-3 ist noch nicht ganz restauriert —lehrte Jöst
den „Kraftprotzen“ das Fürchten. Selbst eine Kollision mit dem BRM
P167 von Hepworth konnte den entfesselten Jöst nicht bremsen. So
galt der Applaus des Publikums bei der Siegerehrung weniger Kinnunen und
Loos, sondern dem Mann, der mit einem unterlegenen Auto Dritter geworden
war.
J.v.O.
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