Kampf der Giganten

In strömendem Regen versank der Norisring beim Training der 23 Teilnehmer, die sich zum 4. Lauf der Interserie eingefunden hatten. Doch am Renntag gab es wieder Grund zur Freude: Die Rennen der Hubraum-Giganten um Sieg und Schweizer Franken gingen ohne größere Probleme, auf einer fast trockenen Piste, über die Strecke an der altehrwürdigen Steintribüne.

Das unermüdliche Werben um ein optisch und auch fahrerisch starkes Teilnehmerfeld bescherte Norisring-Rennleiter Leistner das in dieser Saison bisher attraktivste lnterserienfeld: 23 Fahrern, ein Teil von ihnen zum ersten Mal am Start, schienen die finanziellen Konditionen interessant genug, sich auf der nur 2,3 km langen Strecke rund um die Steintribüne, nahe dem Nürnberger Fußballstadion, zu versuchen.
Überdies gab es in Nürnberg noch eine Weltpremiere: Der in Tag- und Nachtschichten gerade fertig gewordene McLaren M 20-Turbo, vom Felder-Racing-Team. Im Ex-Denis-Hulme-Werks-McLaren leistet ein 7,5-l-Chevy-Motor, unterstützt von einem Morand-Turbo, gute 930 PS und so versprach sich sein Pilot Helmut Kelleners — nach dem bisherigen Motoren-Debakel — bessere Chancen. Infolge der Zeitknappheit konnte der Moerser seinen Weisberg gesponsorten Wagen nur 15 Runden in Hockenheim ausprobieren, fand daher keine Gelegenheit mehr, die bei voller Belastung des Motors auftretenden Überhitzungserscheinungen auszumerzen. Erst im Fahrerlager versuchten die Mechaniker diesem Problem mit einer Verlagerung der Ölkühler vom Innenraum der Karosse nach unterhalb des Heckflügels Herr zu werden. Der starke Regen in den beiden Trainingssitzungen ließ nicht klar erkennen, ob diese Maßnahme zum Erfolg geführt hatte. Immerhin erreichte Kelleners beim dritten Zeit-Training, auf trockener Fahrbahn, die drittbeste Trainingszeit hinter den beiden Porsche-Turbo von Kinnunen und Kauhsen, aber noch vor dem dritten angetretenen Porsche-Turbo-Fahrer Georg Loos.
Kelleners sorgte übrigens noch für eine kleine Sensation, als er seinen letztjährigen McLaren M 8 F, ausgestattet mit einem normalen 8,1-l-Chevy-Motor und vorgesehen für den Offenbacher Michel Weber, über den Kurs jagte und dann mit diesem Wagen 1/10 sec schneller war als mit seinem um rund 200 PS stärkeren Turbo-McLaren!
Doch das sollten nicht die einzigen Überraschungen dieses Wochenendes bleiben. Mit einer ausgesprochenen Pechsträhne kämpfte das Willi Kauhsen Racing Team. Der Aachener hatte es sehr eilig gehabt als erster im Training auf die regenüberflutete Strecke zu kommen, wenige Runden später rollte er ins Fahrerlager. Ein Schaden am Turbolader und Motor zwang die Mechaniker zum Triebwerkswechsel. Im zweiten Training fuhr dann Willi vorsichtshalber seinen zweiten Wagen — ohne Turbo — der für den Stuttgarter Günther Steckkönig vorgesehen war, um sich auch mit diesem Untersatz zu qualifizieren, falls der Umbau des Turbo nicht zeitgerecht hätte erledigt werden können.

Ebenfalls mit einem zweiten Boliden waren das AAW-Racing-Team aus Finnland und Georg Loos nach Nürnberg gekommen. Der unter der Bewerbung des MSC Stuttgart fahrende Leo Kinnunen, wurde von seinem Landsmann und Super-Vau-Champion Lasse Sirviö auf dem alten AAW-Porsche 917 Spyder mit 5,4-l-Motor unterstützt. Sirviö, der einen guten Eindruck auf dem 71er-Modell hinterließ, hatte im 2. Lauf Pech und verbeulte den Oldtimer. Lasse wird voraussichtlich auch die restlichen Interserie-Rennen auf diesem Wagen bestreiten, obgleich er dafür kräftig zahlen muß. Nicht so hart sind die finanziellen Forderungen von Georg Loos, der außer seinem Porsche-Turbo, noch einen 5,4-l-Saugmotor Porsche 917 für den Bietigheimer Jürgen Barth unter seiner Bewerbung laufen ließ. Barth saß zum erstenmal - ebenso wie Sirviö - in einem solchen 630 PS-Geschoß und plazierte sich, dank seiner gleichmäßigen, ausgeglichenen Fahrt auf einem ausgezeichneten fünften Gesamtrang.
Der zur Zeit „arbeitslose“ Hobby-Rennfahrer und Alfa Romeo-Händler Michel Weber zeigte, daß er - nach fast zwei Jahren Rennabstinenz (1972 fuhr er nur in Le Mans) - noch nichts von seinem Können verlernt hat. In dem 72er Weisberg-McLaren fühlte sich Weber sichtlich wohl, wenn auch die Sitzposition des langen Michel etwas verklemmt schien, konnte er sich doch dank der guten Abstimmungsarbeit des Fahrzeugbesitzers Kelleners ganz auf den ungewohnten Wagen konzentrieren. Der Lohn dieser Anstrengungen war ein vierter Platz im 1. Lauf, den er jedoch mit einer geplatzten Zylinderkopfdichtung am Chevrolet-Motor bezahlen mußte. Eine Reparatur kam aus Zeitgründen nicht mehr in Frage und so startete Weber zum 2. Durchgang nicht, ließ es aber offen, ob er die noch ausstehenden Interserien-Läufe für das Weisberg-Team wahrnehmen wird.
Hoffnungen auf einen Sieg oder eine gute Plazierung machten sich noch der bisher beste Nicht-Turbo-Pilot Ernst Kraus, auf einem 5,4-l-917-10, Reinhold Jöst und Bernard Chenéviere, beide Porsche 908.03, Teddy Pilette im McLaren-VDS-Turbo, die Engländer Griffith und Hepworth, auf McLaren M 8 F und BRM, sowie als „Newcomer“ Albert Pfuhl, der seinen Ex-Gesipa-917-Spyder (mit 5,4-l-Saugmotor) entstaubte.
Unter einem ungünstigen Stern standen die beiden Trainingssitzungen am Samstag: Ein anhaltend starker Regen setzte die stellenweise unebene Fahrbahn des Norisrings gefährlich hoch unter Wasser. Die zaghaften Versuche der wenigen Piloten die sich auf die Strecke wagten, glichen eher einem Motorbootrennen. Die PS-Protze tanzten durch die Pfützen und zogen riesige Wasserfontänen hinter sich her, wobei mehr als einmal die Fahrer in echte Schwierigkeiten kamen. Aufgrund der miserablen Wetterbedingungen wurde noch ein drittes Zeittraining, wenige Stunden vor dem Rennen, festgelegt und hier gab es erstmals unter optimalen Bedingungen hervorragende Zeiten. Kinnunen legte 51 sec vor, Kauhsen blieb 4/10 sec hinter ihm, gefolgt von Kelleners und Loos. Für die dritte Startreihe qualifizierten sich Steckkönig und Pilette, eine Reihe dahinter standen Weber und Jöst, ihnen folgten die Engländer Griffith und Hepworth. Von den Fahrern der Spitzengruppe hatte einzig Ernst Kraus Pech gehabt, der seinen Boeri-Porsche vorzeitig ins Fahrerlager schieben mußte, da durch einen defekten Simmerring Öl auf die Bremsscheibe des rechten Vorderrades tropfte! Pilette ließ einen Motor wechseln, und beim Loos´schen Turbo scherte die Anlasserwelle ab; die Mechaniker der Teams waren vollauf beschäftigt.

 

Nach Freigabe des Feldes durch Rennleiter Leistner, explodierte beim Beschleunigen der 7,5-l-Turbo im Kelleners-Wagen - das war der fünfte in vier Rennen! – und zog eine breite Ölspur hinter sich her! Sofort an die Spitze gingen Kinnunen vor Weber, Loos, Kauhsen und Kraus. Allerdings fuhr der Aachener nicht seinen Turbo, sondern saß im rund 400 PS schwächeren Saugmotor-Porsche. Nach dem letzten Training hatte man noch an dem Turbo das Getriebe geändert, wobei ein Schaltführungsstift abgebrochen war, was nicht zu reparieren ging, und so entschloß sich Team-Manager Mennicken zur Umbesetzung innerhalb der Kauhsen-Crew. Steckkönig rollte mit dem Turbo an den Start, mit der Order, den Wagen solange als möglich zu bewegen und anzukommen; Kauhsen wollte dagegen versuchen mit unterlegenem Material den Anschluß an die Spitze nicht zu verlieren, denn er hoffte auf seinen Turbo im 2. Lauf.
Der Belgier Pilette gab schon nach 5 von insgesamt 70 zu fahrenden Runden auf. In der 10. Runde kam unerwartet Kraus an die Boxe und ließ die Bremse entlüften, verlor dabei aber acht Plätze auf das Führungs-Quartett und beendete als Zehnter diesen Durchgang.
Nach knapp der Hälfte des Rennens gab Steckkönig mit Getriebedefekt auf und rollte zur Demontage der beschädigten Schaltgabel direkt ins Fahrerlager.
Mit fast einer Runde Vorsprung beendete Kinnunen diesen Lauf als klarer Sieger vor Loos, Kauhsen und Weber. Kauhsens Pechsträhne wollte aber noch nicht abreißen: Nach der Zieldurchfahrt lief er auf einen langsamen, angeschlagenen Konkurrenten auf, kam nach einer Ausweichbewegung ins Schleudern und knallte in die Leitplanke. Dieser Schaden verhinderte dann die Reparatur des eiligst mit einem Hubschrauber aus dem Porsche-Versuch in Weissach – Kosten ca. 2300 DM – herangeflogenen Getriebes im Turbo. Die Mechaniker konzentrierten sich auf die Instandsetzung der Start-Nr. 11, die Heck- und Frontverkleidung des Turbos erhielt, und mit der sich Kauhsen, insbesondere bei Regen, eine wenn auch minimale Erfolgschance versprach.

Ein Regenschauer kurz vor dem Start zum 2. Lauf brachte die Teamleiter und Fahrer in Konflikte: Sollte man Regen-, Intermediate- oder Slicks-Reifen fahren? Einige Teams warteten bis wenige Minuten vor der Freigabe des 2. Durchganges, doch schlußendlich entschieden sich fast alle Piloten für Intermediate-Reifen, nur der Finne Sirviö vertraute seinen Fahrkünsten und den profillosen Slicks; in der zweiten Runde flog er von der Strecke und mußte mit einem beschädigten Wagen aufgeben!
Bis zum eigentlichen Start hatte es aber noch einige Aufregungen gegeben: Beim Zeigen des Schildes „Noch 1 Minute“ ließen die verbliebenen 16 Teilnehmer ihre Motoren an, nur der Loos-Turbo weigerte sich beharrlich es den anderen gleich zu tun. Der Rennleiter gab - mit Zustimmung der anderen Piloten - fünf Minuten Wartezeit zum Reparieren; daß die Mechaniker dann doch fast eine viertel Stunde brauchten, lag wohl mehr an der komplizierten Porsche-Mechanik als am Können der routinierten „Bastler“. Nur mit Mühe kam der Loos‘sche Porsche ins Laufen, fand aber noch den Anschluß an das bereits gestartete Feld.
Auch bei den zweiten 70 Runden ließ sich Kinnunen nicht beirren und führte bis ins Ziel unangefochten. Auf den Plätzen zwei bis sechs gab es dagegen einen interessanten Kampf zwischen Pilette, Kauhsen, Jöst, Kraus und Barth. Nachdem Pilette erneut aufgeben mußte, setzte sich Kraus vor Loos an die 2. Position. Zwar wechselten die Plätze noch mehrfach, doch an der Reihenfolge der ersten Drei änderte sich nichts mehr.
In der Addition bedeutete dies einen Sieg für Kinnunen, der wohl zur Zeit stärkster Fahrer im lnterserienfeld ist. Loos wurde Gesamtzweiter vor Jöst und Kauhsen. Damit verteidigte der Aachener die Führung.

lobo

 

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