Bremsmanöver

Insgesamt 130.000 DM Preisgeld und ein couragierter Rennleiter standen im Mittelpunkt des diesjährigen Rennens. Trotzdem blieben auch bei dieser Top-Veranstaltung die Krankheitssymptome der Saison ´76 spürbar. Hezemans gewann den Lauf zur GT-EM, Wollek den der Rennsportmeisterschaft.

Im Vergleich zu den Vorjahren traten reichlich wenig Teilnehmer am Nürnberger Norisring an. Obwohl sich Rennleiter Gernot Leistner alle Mühe gegeben hatte, mit viel Geld Stars von der Qualität eines Stuck oder Mass, die noch im letzten Jahr für Glanzpunkte am Norisring sorgten, anzulocken oder zumindest für das Boliden-Rennen die Werkswagen von BMW, Ford und Porsche zu mobilisieren, bekamen die Zuschauer in der Überzahl nur Markenrennen geboten. Sowohl in der GT-Europameisterschaft wie auch in der Division 1 der Rennsportmeisterschaft balgten sich ausschließlich Porsche um das dicke Geld, während sich im Rahmenprogramm die Renault 5, die Cup-Scirocco und die Formel Super-VW breitmachten. Lediglich in der Division 2 (bis 2000 ccm) der Rennsportmeisterschaft wirkte das Starterfeld bunter, da neben den zahlreichen Ford-Escort und BMW 2002 erneut ein Kadett der gelb-schwarzen Opel-Truppe mitmischen wollte.

Während in Hockenheim Opel-Tuner Irmscher zwei der adrett aussehenden Coupes starten ließ, mußte diesmal auf Werkspilot Walter Röhrl verzichtet werden, da dieser in Belgien die ,,24 Stunden von Ypern" siegreich hinter sich brachte. Der zweite Opel-Vertragsfahrer Manfred Trint kam deshalb in den Genuß des besten im Moment vorhandenen Materials: Er durfte den leichteren „Röhrl"-Kadett, aber mit dem stärksten, etwa 272 PS abgebenden Vier-Ventil-Motor ausgerüstet, bewegen, den er schon in Hockenheim gefahren war. Trotzdem kann man beim neuen Renn-Kadett keineswegs von einem optimalen Renngerät sprechen, denn die Entwicklung hat bei Opel bzw. Irmscher erst begonnen. Mit der taktisch geschickt gewählten Einstufung des Kadett-Coupes in die Gruppe 4 (GT-Klasse) darf der in der verkauften Straßenversion 915 kg wiegende GT/E laut Sportgesetz mit 810 kg antreten. Die Realitäten sehen bislang anders aus: Am Norisring wog der Trint-Wagen noch fast 870 kg, was sogar die Konkurrenz unterbietet. Deshalb nutzen auch die munteren Opel-Rennpferde wenig, denn das Zakspeed-Team hat stets Motoren bis zu 278 PS im Regal und die BMW-Motoren des GS-Teams geben fast 290 PS frei. Auf diesen Wert hofft Opel-Sport-Manager Helle Bein im Endstadium ebenfalls zu kommen, und Opels Entwicklungshelfer Dr. Schrick bestätigt diesen Optimismus. Schon jetzt darf der kurzhubige Vierzylinder bis 10000/min gedreht werden, wobei die maximale Leistung bei 9500/min anliegt. Diese Daten sieht man erst dann im richtigen Licht, wenn man die Vorgeschichte dieses Biedermann-Motors kennt. Bereits 1972 hatten ambitionierte Opel-lngenieure einen Vierventil-Zylinderkopf zu Papier gebracht, aus dem später in Zusammenarbeit mit Dr. Schrick das Rallye-Triebwerk mit 240 PS entstanden ist. Als Opels Haustuner Irmscher seine eingeschläferten Rennaktivitäten wieder aufleben lassen wollte, fand er bei der Opel-Sportabteilung, aber auch bei diversen Entwicklungsabteilungen offene Ohren. Da bekanntlich Rennaktivitäten selbst durch Serienaufgaben frustrierte Ingenieure zu motivieren vermögen, konnte Irmscher nach dem Motto „Opel hilft Irmscher und Irmscher hilft Opel" auf Werksunterstützung hoffen. Dr. Schrick wurde erneut darauf angesetzt, zuerst mit einfachen Mitteln Renn-PS zu suchen. Über eine deutliche Drehzahlanhebung, eine Schiebervorrichtung statt Drosselklappen für die Kugelfischer-Einspritzung, eine Stahlkurbelwelle und eine Verdichtungsanhebung auf 11,5:1 (Rallye-Motor 10,8:1) stellten sich rund 270 PS ein. Dabei mußte man die Verdichtung noch durch Brennraumverkleinerung erzielen, da die Firma Mahle die Spezialkolben nicht schnell genug fertigen konnte. Obwohl die Wasserführung und der Verteilerantrieb (direkt an der Nockenwelle) schon unterschiedlich zu den Rallye-Motoren ausfiel, basieren die bisherigen Einsatzaggregate auf alten Rallye-Motoren. Offensichtlich bietet der Opel-Motor noch Reserven, zumal er bisher eine erstaunliche Standfestigkeit und Zuverlässigkeit an den Tag legte. Absichtlich vermeidet Irmscher im Moment Überholungsarbeiten, um eventuelle Defekte gleich mit der Wurzel ausmerzen zu können. Während also im Motorenbau schon die Entwicklungsstufe 2 in Angriff genommen wird, befindet man sich im Karosserie- und Fahrwerksbau noch im Versuchsstadium. Nicht zuletzt aus Geldmangel mußten weitgehend Serien-Teile verwendet werden, wofür der Benzintank ein typisches Beispiel darstellt. Ein ausgedienter Admiral-Tank war gerade passend, während die professionellen Teams teure Sicherheits-Tanks aus Alu einbauen. Auch das gesamte Benzinfördersystem wirkt im Vergleich zu den Zak-Escort amateurhaft, aber eben schwäbisch solide. Die Renn-Kadett sind im Prinzip zurechtgetrimmte Rallye-Autos, die vorläufig mit allerlei Handikaps an den Start gehen müssen.

 

Da gab es beim Fahrwerk noch Abstimmungsprobleme, da das rallyeübliche Übersteuern nicht auszutreiben ist. Da flogen die Pirelli-Reifen noch in Fetzen, weil man bereits überholte Gummi-Mischungen verwendet hatte. Aber schon am Norisring hielten die auf Gürtelbasis konstruierten Rennreifen, und das Handling des Renn-Kadett ermöglichte geringere Zeitdifferenzen zur Spitzengruppe. Schon beim nächsten Rennen will man mit Aluteilen (z. B. Stoßdämpfer), 15-Zoll-Rädern und größeren Bremsen Verbesserungen erzielen — sozusagen Schritt für Schritt ein reinrassiges Rennauto schaffen, das im nächsten Jahr als Gruppe 5 in der Rennsportmeisterschaft den dominierenden Escort und BMW Paroli bieten könnte. Up to date war am Norisring bei dem wegen Getriebeschaden bald ausgefallenen Kadett nur die Bremsenkühlung mittels Wassereinspritzung. Diese ehemals von Ford eingeführte Norisring-Finesse sorgte dieses Jahr für Aufregung hinter den Kulissen. Die internationale Sportbehörde hatte jegliche Flüssigkeitskühlung für stark strapazierte Bremsen bereits Anfang des Jahres auf Antrag der Franzosen und zur Maßregelung der Jaguar-Aktivitäten verboten. Der deutsche CSI-Vertreter dachte bei diesem Beschluß weder an den Norisring noch begriff er die technischen Zusammenhänge. Erst als der Bremsspezialist „Ate" zusammen mit diversen deutschen Firmen bei der ONS vorstellig wurde, kam der CSI-Entscheid bei einer ONS-Sitzung zur Diskussion. Doch einmal mehr verwiesen die Allmächtigen die sporttreibende Industrie in die Schranken, so daß Rennleiter Leistner kurzerhand das Kühlproblem auf seine, ihm eigene Art löste. Ihn interessieren nur gute Rennen, die den Zuschauern und Fahrern Spaß bereiten und nicht durch mangelnde Sicherheit Schlagzeilen machen. Sportgesetze sind für Leistner gegebenenfalls nur geduldiges Papier, selbst wenn er mit Sportstrafen rechnen muß. Der Ablauf des Norisring-Rennens gab ihm Recht. Kein Unfall trübte die beiden Renntage, die aufgrund der Hitze den Bremsen und Fahrern alles abverlangten. Die Vorsorgemaßnahmen der Teams waren deshalb vielfältig und einfallsreich. Während die Top-Fahrer bei Cockpit-Temperaturen von fast doppeltem Wert der Schattentemperaturen (35 ° C) auf Jet-Helme umstiegen und an jeder Box neben dem Heinzmann-Feuerlöscher ein Getränkedepot eingerichtet wurde, installierten die Rennmonteure die verbotenen, aber inoffiziell geduldeten Kühlvorrichtungen für die Bremsen. Während Schnitzer bei dem Krebs-BMW auf zusätzliche Kühlmaßnahmen verzichtete und GS-Teamleiter Basche für seine drei BMW nur eine Gebläse-Unterstützung vorsah, setzten die anderen Spitzenteams auf das kühlende Naß, das nach Ate-Tests den besten Wirkungsgrad bringen soll. Aufgrund der Schnitzer- und Basche-Abstinenz wäre beinahe das Leistnerische Kartenhaus zusammengefallen, denn bei Protesten dieser beiden Bewerber hätten zumindest alle Porsche-Turbo-Fahrer disqualifiziert werden müssen. „Andere Probleme als zu protestieren" (Basche) und „ich protestiere nie" (Schnitzer) verhinderten den Eklat und ließen die ONS-Feigheit schnell in Vergessenheit geraten. Die Porsche Turbo hatten am Norisring die größten Bremsprobleme zu erwarten. 1120 kg mußten fünfmal pro Runde abgebremst werden, wobei einer Rundenzeit von 56 sec etwa 10 sec als reine Bremszeit angerechnet werden müssen. Rund 0,4 l Wasser werden pro Runde in die Luftkanäle der innenbelüfteten Scheibenbremsen gespritzt, womit etwa 20% der anfallenden Wärme absorbiert werden kann. Starke Scheibenwischermotoren, die mit dem Bremslicht gekoppelt und mit einem Verzögerungsschalter (0,5 sec) versehen sind, drücken das Wasser von innen nach außen durch die Kanäle, wo durch die Fliehkraft eine gleichmäßige Verteilung gewährleistet ist. Einigen Teams schien diese Wasserkühlung noch zu wenig: Das Jägermeister-Team von Max Moritz hatte an den vorderen wie auch hinteren Bremsen eine Zwangsbelüftung durch Mini-Gebläse und Girling-Vollscheiben mit Ferrodo-Belägen installiert, und außerdem auf die vorderen Räder Turboscheiben wie beim 935-Werksporsche montiert, die weitere Bremswärme herauswirbeln sollte. Auf diese Porsche-eigene Entwicklung vertraute auch die Loos-Tebernum-Crew, während Kremer dieser Neuerung eher skeptisch gegenüber stand. Trotz all dieser Anstrengungen und der mittlerweile auf 550 PS angewachsenen Turboleistung war der Vorjahres-Rekord von Jochen Mass auf einem Ford-Capri nicht zu brechen. Toine Hezemans konnte im Training mit 55,8 sec zwar seine letztjährige Carrera-Zeit um 0,7 sec unterbieten, doch die Turbo hätten mit den BMW-und Ford-Boliden echte Kontrahenten gehabt. So blieben die Turbo-Porsche ganz allein im Division-1-Rennen, das mangels Konkurrenz gleichzeitig als Norisring-Finale ausgetragen wurde und deshalb mit insgesamt 75.000 DM dotiert war. Allein 17.000 DM entfielen davon auf den Sieger, was für einige Teams Grund genug war, beim Rennen um die schwächer dotierte GT-Europameisterschaft gar nicht anzutreten oder nur mit einem Turbo, damit für das entscheidende Rennen auf jeden Fall ein Wagen einsatzbereit blieb. So verfuhr das Vaillant-Team von Porsche-Kremer, das mit zwei Turbo trainierte, wobei sowohl Wollek wie auch Heyer dem weißen Vaillant-Porsche das bessere Fahrverhalten bescheinigten. Der stärker strapazierte grüne „Original-Vaillant" war zwar nach Hockenheim genau inspiziert worden, doch das Mitlenken der hinteren rechten Radaufhängung blieb. Als beim Warmfahren zum GT-Lauf die Schaltung hakte, war ohnehin die Entscheidung zugunsten des „Weißen" gefallen, nachdem schon vorher beschlossen worden war, Heyer nicht fahren zu lassen, damit der zweite Wagen geschont werden konnte.

 

Im mit zehn Teilnehmern nur mäßig besetzten Rennen — und eigentlich keiner Europameisterschaft würdig -, setzte sich Hezemans vom Loos-Tebernum-Team nach einem Blitzstart Wolleks an die Spitze und baute diese Führung aufgrund Wolleks Schaltproblem aus. Ein daraus resultierender Dreher brachte dem französischen Ex-Skistar eine Bremsplatte ein, die ihn das Rennen aufgeben ließ. Dadurch kam das Jägermeister-Team auf die Plätze zwei und drei, wobei Reinhardt Stenzel von den Laderproblemen des Kellener-Autos profitierte. Damit war die von Max Moritz-Rennleiter Sauter ausgegebene Marschroute, nämlich nicht mit Spitzenzeiten zu glänzen, sondern nur anzukommen, voll aufgegangen, denn am Schluß konnten lediglich sechs Turbo-Porsche das Rennen in Wertung beenden. Die Turbo leiden nach wie vor unter regelmäßigen Laderdefekten, die Porsche allerdings auf eine unerlaubte Ladedruckerhöhung zurückführt.

Unter umgekehrten Vorzeichen verlief das mit denselben Top-Favoriten, aber auf 15 Starter angewachsene Rennen der Division 1 zur Deutschen Rennsportmeisterschaft. Diesmal hatte Hezemans in der Schlußphase Probleme: Ein abgesprungener Keilriemen für die Lichtmaschine entleerte die Batterie so schnell, daß der Holländer trotz abgeschalteter Stromverbraucher auf der Strecke stehen blieb, nachdem ihn Wollek, diesmal auf dem grünen Vaillant-Porsche startend, ständig hart attackiert hatte. Da auch der zweite Loos-Wagen mit Tim Schenken mit einer gebrochenen Ölleitung (im Überrollbügel verlegt) und dadurch angestiegenen Öltemperaturen abgestellt werden mußte, wurde Team-Chef Georg Loos ebenso kleinlaut wie seine Werks-Mechaniker, denen er schon vorher einen Maulkorb umgehängt hatte. Protestieren gab es nämlich auch nicht, da die Konkurrenten ein strittiges Abschlußblech, das Loos vor dem ersten Rennen den technischen Kommissaren „aufs Auge drückte", vorsichtshalber wieder anmontiert hatten. Auch wenn der Wollek-Sieg der Kremer-Crew 17.000 DM einbrachte, so war die Ausbeute der Reutlinger Max Moritz-Mannschaft mit einer Einnahme von 27.500 DM deutlich höher. Von diesem Betrag gehen zwar 15% an die Mechaniker, und der Rest wird zwischen Fahrer und Bewerber aufgeteilt. Interessant dabei ist, daß auch der Fahrer-Anteil nach einem Topf-System zur Verteilung kommt, wodurch der auch im zweiten Rennen unglücklich kämpfende Kelleners (Ladedruckverlust und Plattfuß) gleichviel erhält wie der erfolgreiche Stenzel.

Weit weniger Geld gab es für das farbigste Rennen des Tages: Nur 8000 DM (Sieger 2000 DM) sieht die ONS für die Kontrahenten in der Zweiliter-Klasse vor, in der sich drei Top-Fahrer (Heyer, Ludwig, Obermoser) Hoffnungen auf den Titelgewinn machen. Nachdem Meisterschaftsanführer Hans Heyer mit 59,4 sec wieder den Beweis erbrachte, daß der Zak-Escort mit den schmaleren Reifen auch so schnell ist wie im letzten Jahr, räumte man Klaus Ludwig wenig Chancen ein. Doch für das Rennen bekam der Europa-Möbel-Wagen einen besseren Motor, und da Heyer auf Ankommen fahren wollte, konnte sich Ludwig auf das Duell mit Obermoser einlassen. Erst ein gebrochener Schaltstock bremste die furiose Aufholjagd des Warsteiner-BMW. Pech für das GS-Team, das mit dem 23jährigen Peter Bienefeld zwar ein hoffnungsvolles Talent (fünfte Startposition mit dem Vorjahresauto) entdeckte, aber im Rennen durch Ausfälle - Bienefeld mit Bremsen und Denzel mit Ölleitungsleck — bös geschockt wurde. So kam es zum Dreifachsieg des Zakspeed-Teams, wobei sich die beiden schwarzen Castrol-Escort von Heyer und Hennige diesmal hinter dem weiß-blauen Europa-Möbel-Wagen einreihen mußten. Die Führung in der DRM blieb Hans Heyer dagegen erhalten, doch Wollek rückt ihm immer näher an den Hals. Die Entscheidung dürfte wieder einmal erst in der Schlußphase der Saison fallen.


Jürgen Rapp

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