Nach
dem "Vorbeimarsch" der beiden Rennsportmeisterschafts-Divisionen,
angeführt von Stuck und Glemser, wurde den Tourenwagenfans auf dem
Norisring etwas Besonderes geboten, der "Reichsparteitag 1974".
Die internen Wetten über den Ausgang des mit
insgesamt 87.400 Mark dotierten Finallaufes des Nürnberger Tourenwagen-Festivals
auf dem ehemaligen Parteitagsgelände standen für BMW recht ungünstig.
Toine Hezemans hatte den Werks-Capri mit 57,4 in die Pole-Position geschoben,
und sein Teamgefährte Niki Lauda hatte in einer Trainingssitzung
ohne offizielle Zeitnahme gar 57,1 erreicht. „Crazy Heze“ gab sich verständlicherweise
überaus optimistisch und machte einige Mark locker, um gleich dreifach
auf den eigenen Sieg zu setzen.
Jochen Neerpasch blieb indes gelassen. Ob Hezemans, Lauda oder einer der
Carrera-Piloten zum Favoriten gestempelt wurde, schien ihn wenig zu interessieren.
Daß Hans Stuck im Training mit dem BMW-Coupé leicht mit der
Leitplanke „angebandelt“ hatte, war seinem Boß zwar eine Strafpredigt
wert (Hans: „Ich bin hier, um Rennen zu fahren“), doch insgesamt dürfte
dieser ähnlich wie sein Fahrer gedacht haben. Seine Prognose für
das Rennen: .“Hier gewinnt ein Außenseiter, hier gewinnt Stuck!“
Auf dem Norisring werden die Bremsen besonders stark
strapaziert, und so wurden die beiden Werks-Coupés von Stuck und
Bell (der endlich einmal eine Chance erhalten sollte) mit einem Gebläse
zur Kühlung der Bremsscheiben ausgerüstet. Darüber hinaus
testete Stuck im Training erstmals zwei kleine Aluminiumflaschen, die
mit Atemluft gefüllt waren. Diese „Überlebensluft“ kann auf
Wunsch mit dem Feuerlöschsystem gekoppelt werden und ist außerdem
nach Angaben der Herstellerfirma Matter in Verbindung mit größeren
Behältern auch als Dauer-Luftdusche zur Fahrerkühlung anwendbar.
Das Notgerät für den Brandfall soll etwa 600 Mark kosten, während
der Preis für die Dauerbelüftung mit etwa 800 Mark veranschlagt
wird. Beide Systeme sollen im November in Serien gehen. Der Schweizer
Herbert Müller demonstrierte dagegen nach dem Samstagstraining die
Wirkung einer neuentwickelten Nomex-Fahrerausrüstung. Generell waren
die Werks-BMW auf dem technischen Stand des Sechsstundenrennens stehengeblieben.
Die Werks-Ford hatten in der Zwischenzeit um einige Kilo zugenommen, genauer
gesagt um das Gewicht eines 20-Liter-Wasserreservoirs neben dem Fahrersitz
und einer elektrischen Pumpe, die die Flüssigkeit beim Betätigen
des Bremspedals direkt auf die Bremsscheiben spritzt. Diese Wasserkühlung
funktionierte in dem zur Rennsportmeisterschaft zählenden Qualifikationsrennen
so ausgezeichnet, dass der Chefmechaniker von Porsche-Tuner Erwin Kremer
flugs zum Nachbau schritt. Mit den Worten „warum sollen immer nur Andere
bei uns abgucken“, installierte er im Heyer-Porsche ein Wasserkühlungsprovisorium,
das zufriedenstellend arbeitete. Was den „Großen“
recht war, war bei den „Kleinen“ Dieter Basche billig. Der GS-Teilhaber
hatte zwei Gebläse zurechtgebastelt, die bislang in VW-Transportern
ihr Dasein, allerdings nicht zur Kühlung des Bremsjoches, gefristet
hatten. Auch diese Lösung erfüllte die in sie gesetzten Erwartungen.
Erich Zakowski kannte derartige Probleme nicht, da
die Bremsanlage der Zakspeed-Escort den beiden Norisring-Spitzkehren standhielt.
Der Tuner aus der Eifel hatte vielmehr Sorgen, wie er die beiden „Obermoser-Jäger“
Glemser und Ludwig in seinem Team unter einen Hut bringen sollte: „Auf
jeden Fall muß der Dieter vor Klaus Ludwig liegen - ich kann nur
hoffen, daß Klaus so fair ist und sich daran hält.“
Für den jungen Bonner endete der Weg des geringsten
Widerstandes (nämlich sein Ausweichen in die kleine Division) nach
29 Runden, als sich die Zahnräder des Escort-Getriebes dem weiteren
Betrieb widersetzten und alle Gänge sofort nach dem Einlegen wieder
heraussprangen. Zunächst hatte es allerdings nach einer Zakspeed-Show
ausgesehen: Glemser und Ludwig standen in der ersten Startreihe und gingen
zu Beginn des Rennens von Peter Hennige gut nach hinten abgesichert, auch
in Führung. Als Peter Hennige nur drei Minuten später als Ludwig
mit Motoraussetzern ausfiel, tröstete er sich mit dem Zakowski-Versprechen,
für Hockenheim ein besonders gutes Triebwerk zu erhalten, weil er
die BMW-Verfolger Obermoser, May, Kelleners und Becker so gut abgeblockt
hatte.
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Obermoser,
der in der 41. Runde die beste Zeit gefahren hatte, schloß während
der letzten 10 Minuten merklich zu Glemser auf, konnte aber dessen Sieg
(und damit den Gewinn von 20 Punkten) nicht verhindern.
117:117 steht nun die Meisterschaftspartie zwischen Obermoser und Glemser
- viel Spannung und Höhepunkt der Rennsportmeisterschaft also beim
letzten Lauf in Hockenheim.
Während die beiden Spitzenreiter
um ihre Punkte kämpften, eliminierte der berüchtigte Defektteufel
weitere Fahrer. Albrecht Krebs gesellte sich mit abgebrochenem Schalthebel
zu den Zak-Pechvögeln Ludwig und Hennige und auch bei der Konkurrenz
machte sich die Härte des Rennens bemerkbar. Die Privatiers Mayer
und Schormann wurden mit ihren BMW 2002 ebensowenig glücklich wie
ihre Markenkollegen Denzel und Wagner.
Wolfgang May, Viertschnellster im Training („und dabei
kann ich mir nicht einmal die schnellen ‚Pole-Position-Reifen‘ von Firestone
leisten), war nach 22 Runden an die Box gerollt, da die Benzinpumpe den
Schnitzer-Motor im Stich gelassen hatte. Helmut Kelleners mußte
ebenfalls aufgeben, nachdem hinten links ein gebrochener Längslenker
(samt Uniballgelenk) für einen besonders negativen Radsturz gesorgt
hatte.
Auch an dem BMW von Karl-Heinz Becker stimmte der
Sturz nicht mehr ganz. Becker glaubte zunächst aber, er habe einen
Plattfuß, weil der Reifen des Hinterrades an der Kotflügelverbreiterung
scheuerte. Ein Boxenhalt bestätigte diese Vermutung nicht, Becker
fuhr weiter — das „schiefe“ Rad blieb unbemerkt. „Ich fühlte mich
nicht gerade wohl in meiner Haut, denn der Wagen lag so merkwürdig.
Aber was soll‘s, die Boxensignale zeigten mir Platz Drei an und so hielt
ich bis zum Ziel durch. Erst dann entdeckte ich, daß der Querlenker
nur noch an Halbwelle und Stoßdämpfer hing: Wenn ich das im
Rennen gewußt hätte — aber vielleicht war es so besser, denn
heute bin ich der glücklichste Mensch.
Mehr als zufrieden waren auch Klaus Fritzinger, der
mit seinem Toyota von den vielen Ausfällen profitiert hatte, und
Toyota-Pressechef Hüngsberg, der am Samstag vor dem Rennen noch eine
Veranstaltung in Zolder besucht hatte. Dadurch war ihm der Anblick des
Trainingsgeplänkels zwischen seinem Fahrer und Thomas Betzler erspart
geblieben. In der Spitzkehre am Dutzendteich hatte der Alpina-2002 dem
Toyota einen .‚Tritt in den Hintern“ verpaßt. Fritzinger: „Das war
nicht nötig, Betzler hätte eher bremsen müssen.“ Betzler:
„Der hätte auch Platz machen können.“ Hüngsbergs großer
Auftritt kam ebenfalls. am Sonntag vor dem Finale beider Divisionen.
Fritzinger und Dimmendaal (BMW 2002), die sich aufgrund ihrer Gesamtzeit
und einiger Ausfälle bei der Division I für diesen Endlauf qualifiziert
hatten, sollten auf Beschluß des Veranstalters den prominenten Ausfällen
(Bell und Schenken) Platz machen, da deren Fahrzeuge wieder einsatzbereit
waren. Da auch Klaus Ludwig auf dem Grab-Capri (ohne Qualifikation) und
Werner Schommers (wegen längeren Boxenstops nicht gewertet) Teilnahmeambitionen
hatten, änderte man einen Sonderpassus der Ausschreibung.
Plötzlich hatte sich die Zahl der vom Veranstalter
zu bestimmenden Fahrer auf vier erhöht und zugleich verwies man darauf,
die Fahrzeuge von Fritzinger und Dimmendaal müßten, da zu langsam,
aus Sicherheitsgründen eliminiert werden. „Als ob der BMW von Hegels
soviel schneller wäre“, erregte sich Hüngsberg, „aber ich verzichte
dennoch auf einen Protest“. Dieser Protest hätte die besten Erfolgsaussichten
gehabt, andererseits rettete Rennleiter Gernot Leistner mit seiner Maßnahme
die „Starbesetzung“ des Endlaufes.
Hans Stuck, der bei dem Qualifikationsrennen der großen
Division taktisch klug auf Schlagdistanz hinter den Werks-Capri gelegen
hatte, ging wenige Runden vor Schluß des Rennens zuerst an Niki
Lauda vorbei (Niki: „ich fuhr nur noch im vierten Gang“) und dann an Hezemans.
Auch der Holländer konnte nicht mehr voll hinlangen, da sich das
Achsrohr der Capri-Hinterachse im Gehäuse gedreht hatte. So etwas
war den Ford-Leuten seit 1969 nicht mehr passiert.
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Stucks
Sieg brachte die Zuschauermassen in Bewegung. Hezemans, Müller (der
im Training noch über schlechtes Handling geklagt hatte) und Heyer
belegten die Ehrenplätze. Mit rutschender Kupplung erreichte Rolf
Stommelen das Ziel. Hans Heyer hatte ihn um knappe vier Zehntel distanziert.
Auch bei Tim Schenken im dritten Gelo-Porsche streikte die Kupplung —
zweimal und gründlich. Im Training hatte sich die Mitnehmerscheibe
im wahrsten Sinne des Wortes als solche betätigt, und im Rennen schlug
sie die Getriebeglocke kaputt.
Bei Kremer gab es ebenfalls zwei nicht gerade glückliche
Gesichter: John Fitzpatrick besaß keinen optimalen Motor und Paul
Keller kam im Glauben, der Sprit gehe zur Neige, an die Boxen. Später
diagnostizierten die Kremers an Kellers Motor ein abgerissenes Ventil,
ein Schaden, der bis zum Finale aber behoben werden konnte.
Keine Reparaturmöglichkeit, geschweige denn einen
Ersatzmotor gab es dagegen für den Gerstmann-Capri des australischen
Tourenwagen-Debütanten Vern Schuppan. Vern, der wegen eines Getriebedefektes
die erste Trainingssitzung außer einigen Eingewöhnungsrunden
verpaßt hatte, lag zum Zeitpunkt seines Ausfalls (gebrochene Nockenwelle,
wenige Minuten vor dem Ende des Qualifikationsrennens) an 10. Stelle.
Außer Spesen aber nichts gewesen, aber Schuppan dachte anders: „Mir
hat es trotz einiger Blasen an den Händen Spaß gemacht, in
Nürnberg zu fahren, die Gerstmann-Leute haben sich viel Mühe
gegeben und die ganze Atmosphäre dieser Veranstaltung war großartig.“
Noch mehr Pech hatte allerdings sein Gulf-Teamgefährte Derek Bell.
Mit zu heißer Hinterachse schleppte sich das BMW-Coupé des
Briten über die Runden. Im Finale wollte es Derek dann wissen: „57,6
P6“ signalisierte ihm in der 29. Runde die BMW-Box. „P5“ vier Minuten
später: Derek bot eine großartige Leistung. 18 Runden vor Schluß
des Rennens kam dieser Werkswagen an die Box gerollt. Einer Ohnmacht nahe
stieg Bell aus:
„Es nebelte im Cockpit, heiße Öldämpfe, die Augen brannten,
ich dachte schon ich schaffe es nicht mehr, weil ich kaum etwas sehen
konnte.“
Reinhardt Stenzel, der im Training mit der Betonmauer
ausgangs des „S“ Bekanntschaft gemacht hatte, kam nicht ins Finale: seine
Pechsträhne begann vor dem Start des Qualifikationslaufes als ein
schleichender Firestone-Plattfuß eine komplette Umbereifung auf
Dunlop erforderlich machte, weil keine auf Felgen montierte Firestone
im „Marschgepäck“ seines Transporters lagen. Nach 50 Runden verursachte
eine gebrochene Ventilfeder eine große blaue Wolke, in der der Max-Moritz-Carrera
(erstmals mit Schrick-Wellen) verrauchte. Daß dem Rundenrekordhalter
des Vorjahres im Training auch noch ein Getriebe zerbarst, zählt
wohl angesichts dieser unangenehmen Überraschungen nicht mehr.
„Ein Loch ist im Eimer, hol Wasser oh Henry!“ Im Gegensatz
zu den wassergekühlten Bremsen, wollte diese Art der Kühlung
bei Hezemans Ford-Cosworth-Motor nicht mehr richtig funktionieren. Nach
einem „Wasserlaß“ machte die Zylinderkopfdichtung nicht mehr
mit und da zuvor auch Lauda aufgegeben hatte (erneute Schaltschwierigkeiten),
war Stuck plötzlich allein auf weiter Flur: ‚Stuck P1 +5“. Das „+5“
bezog sich auf Müller, der sich zur Vorsicht eigene Bremsbeläge
hatte einbauen lassen: „Ich wollte auf Nummer sicher gehen und ließ
sie bei einer Spezialfirma, für die ich früher Hartchromarbeiten
gemacht habe, vorbereiten und testen.“ Müller, von Beruf Galvaniseur,
hatte es bis zu dieser Firma nicht weit, sie liegt nur 15 Kilometer von
seinem Heimatort entfernt.
Hinter Stuck gab es ein Unentschieden im „Kölner
Lokalderby“: Zweiter Heyer, Fünfter Fitzpatrick und Achter Keller
(alle Kremer-Porsche) -- Dritter Müller. Vierter nach Start aus den
letzten Reihen Schenken und Sechster Stommelen, der erneut mit der rutschenden
Kupplung kämpfte (alle Gelo-Porsche). Finanziell hatten die Loos-Fahrer
sogar besser abgeschnitten. Sie „erbeuteten‘ im Finale zusammen 27.000
DM gegenüber 23.000 DM bei den Kremer-Piloten. 4.000 Mark holte sich
Klaus Ludwig mit einem beachtlichen siebenten Platz und Dieter Glemser,
der beste „2-Liter-Mann“, bekam als wohlverdienten Lohn noch einen Tausender
zu dem 2000,-DM-Scheck aus der Qualifikation dazu. Werner Schommers und
Siegfried Müller, die ihre schweren, technisch unterlegenen Coupés
auf den nächsten Plätzen ins Ziel brachten, gingen leer aus
— für dahinrollende Autos rollt halt kein Rubel.
Jochen von Osterroth
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