Sieg durch Kraft


Von Ulf von Malberg

Das 200-Meilen-Rennen in Nürnberg hatte eine für deutsche Verhältnisse geradezu unglaubliche Besetzung. Besonders interessant war es vor allem deswegen, weil es nicht zur Markenmeisterschaft zählte und darum die dort vorgeschriebenen Hubraumbegrenzungen für Prototypen und Sportwagen von drei bzw. fünf Litern entfielen. Man sah recht interessante Konstruktionen, und besonderen Reiz gewann das Rennen durch das Aufeinandertreffen der Lolas oder Ford mit Motoren von mehr als 5000 ccm. Man darf erwarten, daß die 200 Meilen von Nürnberg ihren Weg machen und einmal zu den ganz großen Rennen gehören werden.

Man nehme einen Motorsportclub, der sich was zutraut und einen Rennleiter, der sich auskennt (in unserem Fall den MC Nürnberg und Gernot Leistner), engagiere etwa 30 Brummer des größten Kalibers plus der dazugehörigen Weltklassefahrer, richte eine Straßen/Parkplatz-Kombination rund um einen aus vergangenen Tagen herumstehenden Steinhaufen (sprich Tribüne) zu einer Rennstrecke her, hoffe auf gutes Wetter — fertig sind die 200 Meilen von Nürnberg. Zutaten: eine gehörige Portion Enthusiasmus, 60000 Zuschauer, etwas Glück und, wenn man das nicht hat, einen ADAC-Gau, der im Notfall finanziell aushilft, Nach diesem einfach klingenden Rezept fährt man in der Noris seit dem 2. Juli 1967 gut, und am 29. Juni 1969 wurden nun zum dritten Mal die 200 Meilen von Nürnberg ein voller Erfolg Wenn sogar Joakim Bonnier behauptet, das zu verdienende Geld sei gut und reichlich und wenn der Veranstalter trotzdem nicht pleite geht, dann stimmt ganz einfach die Konzeption. Die Kasse des Gaues wurde wieder nicht beansprucht.

Wie gesagt, das hört sich alles ganz einfach an, aber wenn man einen kleinen Blick hinter die Kulissen wirft, bemerkt man doch eine wahre Sysiphus-Arbeit, die dieser kleine Club zu bewältigen hat. Die Stadt Nürnberg rührt nämlich keinen Finger, ja, sogar die Teerdecke auf der Rennstrecke mußte der Club aus eigener Tasche berappen. Jetzt, wo der 1. FC Nürnberg von der Bundesliga-Futterkrippe verdrängt wurde sollten die Stadtväter ihre Haltung überdenken, denn das Norisringrennen ist nun mit Abstand Nürnbergs bedeutendste Sportveranstaltung.

 

Das Starterfeld war noch interessanter, die Autos noch größer, es gab sogar eine Europa- und eine Welt-Premiere. Porsche hat ja bekanntlich seinen Werksrennstall weitgehend aufgelöst und vor allem die 908-Spyder verkauft, vier davon starteten in Nürnberg. Rolf Stommelen fuhr den Ö2, also den Siegerwagen vom Nürburgring unter der Flagge von Porsche Salzburg, Vic Elford für Tony Dean, Alex Soler-Roig seinen eigenen und Gerhard Koch für das BG-Racing-Team. BG heißt Blau-Gelb und entspricht der Scuderia Lufthansa. Dann drei 907 unter Karl von Wendt, Hans DieterDechent (ebenfalls BG-Team) und Helmut Krause, vier 910 von Hanns Bohlmeier, Andreas Schmalbach, Ernst Kraus und H. D. Blatzheim, sowie ein einsamer Carrera 6 unter Toni Fischhaber.

Die großen Boliden rekrutierten sich in erster Linie aus Lola-Chevrolet: Brian Redman fuhr den größten, nämlich den 6,2-Liter mit 530 PS. Eigentlich sollte er vom Werk einen Porsche 917 bekommen, aber Sid Taylor, bei dessen Rennstall Redman unter Vertrag steht, wollte nicht. Joakim Bonnier fuhr seinen gelben 5,7-Liter, außerdem Dick Attwood auf dem von David Piper, Trevor Taylor für das Team Elite und Brian Muir für Malcolm Gartlan. Der neunfache Motorradweltmeister und John-Wyer-Werksfahrer Mike Hailwood brachte einen 5,7-Liter-Mirage-Ford von Malcolm Guthrie mit, während Guthrie selbst einen Ford GT 40 fuhr, einen weiteren GT 40 der Münchner Willi König. Dann noch die ganz seltenen Vögel: David Prophet mit seinem McLaren-Chevy M6GT, Vorjahressieger David Piper mit dem Ferrari P4, dem er schlicht das Dach abgeschnitten hat, Jonathan Williams mit dem neuen Dreiliter-V8-Serenissima, der vom Konstrukteur und früheren Stirling-Moss-Betreuer Alf Francis begleitet war und der Dreiliter-Alfa-P33,3-Werkswagen unter lgnazio Giunti. Zwei Alfa P33 Zweiliter unter Herbert Schultze und Reinhard Stenzel, der Abarth 2000 von Helmut Leuze, ein alter McLaren 3B/2 und der seltsame Ferrari LMP des Österreichers Stefan Sklenar vervollständigten das Feld. Dieser LMP ist ein alter Ferrari LM mit einer handgestrickten Karosserie die sehr nach Porsche Carrera 6 aussieht. Sklenar kannte die Geschichte des Wagens selbst nicht, aber anscheinend ist es der von Hans Illert aus der Schweiz, mit dem sich schon Herbert Müller und Rico Steinemann versuchten.

Das Training brachte gleich eine Riesensensation. Giunti katapultierte den roten Alfa in 1.18,7 um die Strecke und schoß in dieser schnellen Runde derart an Vic Elford vorbei, daß dieser richtig zusammenzuckte. Und bis Elford einmal zuckt...

Zweitschnellster war Bonnier mit 1.19,4 vor Elford 1.20,1, Attwood 1.20,5, Stommelen 1.20,7, Redman 1.21,3, Koch 1.21,6. Piper 1.21,7, Hailwood 1.21,8, Soler-Roig, Guthrie, Muir, Taylor, Cowin, Prophet, Wendt, Dechent, Schultze, Sklenar, Schmalbach und Bohlmeier. Jonathan Williams verlor im Training beinahe den Motor, als die Halterung brach; Stenzels Alfa wollte nicht so recht, und Krause rettete sich gerade noch auf den letzten Startplatz. 24 Wagen sind für das Rennen zugelassen, Leuze, Kraus, Fischhaber, Blatzheim und König mußten zuschauen, da der Hoffnungslauf für nur fünf Autos ausfiel.

 

Überlegener Mann des ersten Laufes war Joakim Bonnier. Wer auch immer behauptet, der Herr GPDA-Präsident sei fahrerisch angelaufen, der wurde hier nachdrücklich eines Besseren belehrt. Man konnte noch so sehr nach Fahrfehlern suchen, es gab einfach keine und als drei Runden vor Schluß Brian Redman die Spitze übernahm, da ließ sich der Schwede keinesfalls aus der Ruhe bringen, in der nächsten war er wieder vorne. Aber der Reihe nach.

Bonnier ging also vom Start weg in Führung, Vic Elford und Rolf Stommelen suchten den Anschluß zu halten, aber gegen die überlegene Motorenkraft des 5,7-Liter war einfach nichts zu machen. Von Redman war zunächst nicht viel zu sehen. Sein Motor gab nur in einem winzigen Drehzahlbereich die volle Leistung ab und auf diese Eigenheiten muß sich auch ein Brian Redman erst einmal umstellen. So konnte er die beiden langsamen Kurven beispielsweise nur mit stark schleifender Kupplung nehmen, damit die Drehzahl ja nicht in den Keller fiel. Als er dann den Dreh raus hatte, schnappte er sich die vier vor ihm liegenden Porsche von Soler-Roig, Koch, Stommelen und Elford und ging — wie schon gesagt — sogar an Bonnier vorbei. Aber der konterte geschickt und ließ den Engländer um 6/10 Sekunden hinter sich. Einschließlich Gerd Koch lagen alle Wagen in der gleichen Runde, aber zwei Runden zurück: Soler-Roig, Piper und Guthrie, dann von Wendt, Muir, Schultze, Hailwood und Dechent. Hanns Bohlmeier mit dem Carrera 10 konnte gerade noch die beiden Veteranen unter Sklenar und Cowin in Schach halten. Der P 33,3 hielt sich zunächst in der Spitzengruppe fiel aber nach 28 Runden ebenso aus, wie Dick Attwood, Jonathan Williams, der allerdings mit dem Ausgang des Rennens nichts zu tun hatte, Schmalbach, Stenzel, Taylor, Krause und Prophet.

Der zweite Lauf sah zunächst ein faszinierendes Duell der beiden großen Lola. An der Sid-Taylor-Boxe war man der Krankheit des Redman-Motors auf die Schliche gekommen und nun lief der 6,2-Liter tadellos. Leider dauerte der Zweikampf nur acht Runden, dann machte sich bei Bonnier ein Ventil selbständig. Jetzt lag es an Vic Elford, den Lola in Schach zu halten, was aber nur unvollständig gelang. Er fuhr mit Haken und Ösen, ließ den 908 millimeterweise an Mauern und Strohballen entlangsliden, holte auch beim Anbremsen immer mächtig auf, aber Redman brauchte nur auf der Geraden anständig auf das Gaspedal zu steigen und der alte Abstand war wieder da. Um den dritten Platz ging es heiß zwischen Dick Attwood und Rolf Stommelen her. Es gab ständige Positionswechsel, bis dem Kölner in der S-Kurve ein gekonntes Ausbremsmanöver gelang.

Nach einem Dreher im ersten Lauf lief es für David Piper im zweiten besser und er plazierte sich mit dem Ferrari rundengleich mit Redman auf dem fünften Platz vor Soler-Roig, Dechent, Schultze und den beiden Veteranen Cowin und Sklenar, die Hanns Bohlmeier in ihrer Mitte hatten.

lgnazio Giunti sollte im zweiten Durchgang den Rundenrekord holen, aber mit dem kranken Auto war das nicht zu machen. Gerd Koch wurde von einem Konkurrenten aus einer Kurve geschoben. Hailwood demolierte die Schnauze des Mirage, auch Guthrie und Muir kamen nicht ins Ziel.

Dann kam das große Warten auf die Endplazierung, die Zeitnahme hatte bei 82 Runden und Zeiten um 1.20 bis 1.30 auch alle Hände voll zu tun. Brian Redmans Sieg stand natürlich fest, auch Platz zwei für Elford und drei für Stommelen. Beim vierten kam man schon etwas durcheinander, da David Piper erst auf dem Lola genannt hatte, dann aber den Ferrari fuhr, was irgendwie unterging. Vierter also Attwood vor Soler-Roig, Herbert Schultze auf dem schnellsten Zweiliter, Dechent, Piper, Bohlmeier, Cowin mit dem alten McLaren und Sklenar mit dem LMP.

 

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