Das
Duell am Norisring
Deutsche Straßenmeisterschaft
, 2. Lauf (500ccm und Seitenwagen)
War Nürnberg nicht einmal die „Hochburg" der deutschen Motorrad-Industrie?
Sollte jemand der Nürnberger glauben, daß das heute auch
noch so sei, dann höre er sich an, was die Motorradsport-Freunde
beim Betrachten des Programmes des diesjährigen Norisring-Rennens
äußerten! Ganze 2 (in Worten: zwei) Klassen waren für
Motorräder neben 8 (in Worten: acht!) für Wagen ausgeschrieben
worden! Bei einem Club, dessen Rennleiter Gernot Leistner früher
einmal ein ganz großes As unter den Motorrad-Geländefahrern
war. Lang, lang ist's her! Aus ist's mit der Motorrad-„Hochburg"
in Nürnberg! Und jedem, der aus den Reihen des Veranstalters äußerte,
was er für ein großer Motorradfreund sei, dem antwortete
ich: „Ja, man sieht's!" Der Nimbus des Norisring-Rennens, der von
den Motorrädern abstammt, wird verwelken, wenn man gedenkt, den
Motorrad-Rennsport dort im nächsten Jahr noch weiter so zu vernachlässigen.
Dann lieber von Jahr zu Jahr abwechselnd rassereine Motorrad- oder Wagenrennen.
(Man wird dann ja auch sehen, wo das Kassen-„Defizit" herkommt!)
Gleiche Chance für alle, bitte!
Es sollte zwei Höhepunkte für uns geben: das Duell der Weltmeister
1964 der Seitenwagenklasse Max Deubel/Emil Hörner, Mühlenau
(BMW) gegen Otto Kölle/Heinz Marquardt, Sindelfingen (BMW) und
das Debüt der 500 ccm Bianchi-Twin auf einem, nationalen, deutschen
Straßenrennen unter Heiner Butz und Max Raab.
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Seitenwagen-Rennen
Daß es ein Duell zwischen Deubel/Hörner und Kölle/Marquardt
geben würde, war deswegen klar, weil Max Deubel seine moderne und schnellere
Maschine bereits in Spa Francorchamps in Belgien beim Weltmeisterschaftslauf
hatte, so daß er in Nürnberg auf einer älteren nicht ganz
so schnellen Maschine an den Start ging. Mittlerweile haben aber die anderen
Fahrer dieser Klasse ihre Maschinen auch weiterentwickelt, und so waren
die beiden Gespanne von Deubel und Kölle in der Leistung genau gleich.
Also buchstäblich ein Kampf mit gleichen Waffen! Deubel kam zum Pflichttraining
am Sonnabend und zum Rennen am Sonntagmorgen von Belgien aus in einem Sportflugzeug
eines Freundes, während die Maschine von seinen Clubkameraden in einem
Transporter von Mühlenau nach Nürnberg gebracht worden war. Gleich
nach dem Rennen am Sonntag flog das Gespannfahrer-Paar wieder nach Belgien,
wo es unmittelbar nach der Ankunft dort zum Lauf um die Weltmeisterschaft
startete. Deubel wollte nicht nur um die wertvollen Weltmeisterschaftspunkte,
sondern auch um die Punkte zur Deutschen Meisterschaft kämpfen. Es
war wirklich „genial" von den Verantwortlichen, einen Deutschen Meisterschaftslauf
auf den gleichen Tag wie einen Weltmeisterschaftslauf zu legen (genau wie
das Solituderennen intelligenter Weise mit dem Weltmeisterschaftslauf auf
dem Sachsenring zusammenfiel!).
Auf den besten Startplatz konnte sich durch das beste Trainingsergebnis
Otto Kölle stellen. Neben ihm warteten Deubel/Hörner auf das Startzeichen.
Als das Feld gestartet war, schossen die beiden Gespanne gleich schnell
von der Linie weg, aber die Fahrer Siegfried Schauzu/Horst Schneider auf
der Muthig-Stoßstangen-BMW gingen als erste an den Boxen hinterm Start
vorbei. Sie hatten in der zweiten Startreihe
gestanden. Insgesamt waren 14 Gespanne auf die kurze Reise von 78,8 km (=
20 Runden) gegangen, darunter Butscher/Wilhelm, Breu/Dieter, Huber/Huber,
Wolf/Kalauch, Lünemann/ Dittrich, Selbmann/Roder, Arnold/Haubel, Ludwig/Bühler
u. a. Nach der ersten Runde lautete die Reihenfolge bei Start und Ziel Kölle,
Deubel, dicht zusammen, dann Wolf, Butscher, Schauzu, Huber usw. Bis zur
5. Runde war jedesmal Kölle der erste Fahrer auf der Linie. Der Gesamtdurchschnitt
lag bis dahin bei 124 km/h. In der dritten Runde flogen nach der Vorbeifahrt
an den Boxen an Schauzus Muthig-BMW plötzlich die Zylinder-Brocken,
das Stoßstangen-Gespann mußte die Jagd aufgeben. Nun war die
Reihenfolge in der 6. Runde plötzlich Deubel, Kölle, Wolf, Breu,
Butscher, Arnold, Huber, Meixner, Selbmann, Lünemann, Appelt und Ludwig
(dieser bereits überrundet). Die BMW von Arnold stotterte manchmal,
Wolf/Kalauch fuhren gut, sie machten pro Runde immer etwas Zeit gut, obwohl
sie die beiden Spitzengespanne von Deubel und Kölle nicht erreichen
konnten. Butscher schien auf Sicherheit und Durchkommen gleichmäßige
Rundenzeiten zu halten.
Aber Deubel und Kölle fuhren so, daß bis zum Abwinken des Rennens
niemand sagen konnte, wer gewinnen würde. Dieser Kampf — sie jagten
oft genau nebeneinander an den Tribünen vorbei — riß uns so mit,
daß wir auf die tapferen Streiter im Mittelfeld und am Ende der langen
Reihe kaum noch achteten, obwohl diese das nicht verdient hatten. Schließlich
gab es einen tollen Endspurt, und mit wenigen Metern Vorsprung sauste das
Gespann Kölle/Marquardt als Sieger durchs Ziel. Selbst die weit hinten
fahrenden Konkurrenten waren so begeistert über dieses Duell, daß
sie den Siegern und den zweiten des Rennens, Deubel/Hörner, herzlich
gratulierten.
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500ccm-Rennen
Heiner Butz hatte die 500 ccm Bianchi-Twin von Max Raab, München,
gekauft. Es ist die Maschine, die von Venturi gefahren wurde und mit der
dieser dem Weltmeister Mike Hailwood schon gewaltig eingeheizt hat. Max
Raab besitzt die zweite Maschine. Beide Modelle sind keine aufgebohrten
350 ccm, sondern echte 500 ccm-Maschinen. Die Leistung dürfte bei
60 PS liegen. Heiner Butz sagte uns nach dem Training, daß der Sog
in den Ansaugkanälen so groß sei, daß dieser die Gasschieber
festhält, bis sie sich plötzlich ruckartig lösen und dadurch
die Maschine beim Beschleunigen oftmals zum seitlichen Ausbrechen neigt,
weil das Hinterrad durchdreht. Das geht natürlich auch über
die Kette her. Die beiden Zylinder haben Doppelzündung. Dabei ist
die superschmale Batterie von 6 Volt 16 Ah interessant, deren Zellen nicht
nebeneinander, sondern hintereinander angeordnet sind. Zwei obenliegende
Nockenwellen, in der Mitte hinten zwischen den Zylindern angetrieben.
Nach dem Training hatte der Motor Öl gebraucht, und Heiner Butz tippte
auf einen Kolbenringschaden. Da dieses diffizile Aggregat aber nicht so
einfach zu zerlegen ist, wollte man ein „Nachsehen" lieber nicht
mehr vor dem Rennen riskieren, da der Motor noch gut hochdrehte und volle
Leistung hatte. Max Raab hatte Pech, daß er ausgerechnet in den
vier (in Zahlen: 4!) Pflichttrainingsrunden schlecht gezeitet wurde, in
der die Zeitnahme arbeitete — nämlich in der zweiten und dritten
Runde. So „erfüllte er sein Training nicht", trotz sehr guter
Zeiten während der übrigen Runden.
Auf dem besten Startplatz stand Heiner Butz neben Karl Hoppe (Matchless).
Dann folgte Hans-Otto Buthenuth mit der alten Langhub-BMW. Neben sich
hatte er Bernhard Bockelmann, Bremen (Norton) und Hans-Jürgen Melcher,
Solingen (Norton). Außerdem starteten Thiemig (Norton), Ewig (Norton),
Rosenbusch (Norton), Allner (BMW), Bern (Norton), Enders (Norton); Springenberg
(Horex), Seidl (Norton)j Handermarin (Norton), Fenker (Norton) und Kläger
(Horex).
Vom Start weg war Heiner Butz mit der weit überlegenen Bianchi vorn.
Und bis zur 14. der zu fahrenden 26 Runden (= 102,4 km) schien sein Sieg
sicher vor Karl Hoppe, Hans-Jürgen Melcher und Hans-Otto Buthenuth.
Aber dann mußte er mit der in Öl schwimmenden Maschine doch
an den Boxen halten und das Rennen mit einem üblen Kolbenschaden
aufgeben, so daß Karl Hoppe mit seiner Matchless zum Sieg kam. Erstaunlich
war im übrigen auch die Überlegenheit von Hoppes Maschine zum
übrigen Feld, denn der Abstand zu seinen Verfolgern war erheblich
groß. Fritz Kläger mußte gegen Ende des Rennens zu Boden,
auch andere Fahrer stürzten. Glücklicherweise ohne ernste Folgen.
Klacks (Ernst Leverkus)
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