Internationales
Noris-Ring-Rennen am 3./4. Juli 1965:
Großer Tag für Manfred Schiek und Mercedes
Von Rainer
Braun
Es gehört schon
fast zur Tradition, daß am ersten Juli-Sonntag der Motorsport-Club
Nürnberg sein internationales Rundstreckenrennen auf dem 3,9 km
langen Noris-Ring durchführt. Rennleiter Gernot Leistner wollte
dem Nürnberger Publikum (alljährlich kommen rund
50 000 Zuschauer) diesmal etwas ganz Besonderes bieten. Unter „etwas
Besonderem“ verstehen wir ja seit einiger Zeit Tourenwagen, denn die
erfreuen sich bei der breiten Zuschauermasse vielleicht momentan noch
größerer Beliebtheit als die attraktivsten Sport- und Grand-Tourisme-Wagenrennen.
Der MSC Nürnberg beantragte gleich zu Jahresbeginn einen Rundstrecken-
Meisterschaftslauf für die Tourenwagen mit internationaler Beteiligung.
Sportwagen, Prototypen, Formel-3-Rennwagen und Grand-Tourisme-Fahrzeuge
hatten die überaus motorsportbegeisterten Nürnberger schon
in den vorangegangenen Jahren gesehen, noch nicht aber jene Wagen-Kategorie,
in der momentan wohl so hart wie noch nie zuvor gefahren wird. Vier
Klassen waren ausgeschrieben: Bis 1600, 2000, 2500 und über 2500
ccm. Trotz der sagenhaften neuen Streckenrekorde, die durch Gerd Mitter/Porsche-Achtzylinder-Spyder
und und Günther Klass/Porsche 904 GTS in den folgenden Sport- und
Grand-Tourisme-Wagenrennen erzielt wurden, kann man den Tourenwagen-Lauf
der Klassen bis 2500 ccm und darüber getrost als das Rennen bezeichnen,
bei dem die weitaus größte Begeisterung unter den über
50 000 Zuschauern festzustellen war.
Und diese Begeisterung kam nicht von ungefähr: Im vorangegangenen
Rennen der 1,6- und 2-Liter-Klasse hatten nämlich die jeweiligen
Sieger (der Engländer Elford mit einem werksbetreuten Lotus-Ford-Cortina
und Josef Schnitzer aus Freilassing auf BMW 1800 TI) versucht, absolute
Tourenwagen-Bestzeit zu fahren und die dafür bereitstehenden 1000
Mark in bar mit nach Hause zu nehmen. Aber nicht die schnellste Runde,
sondern die beste Gesamtzeit aus 19 Runden war maßgebend. Schnitzer
fuhr als Sieger der 2-Liter-Klasse (vor Hans-Peter Koepchen und Klaus
Miersch, alle BMW 1800 TI) mit 34:24,8 = 131,0 km/h schon eine hervorragende
Zeit. Dann aber unterbot der Schnellste der 1‚6-Liter-Klasse, Vic Elford
mit dem Lotus-Ford-Cortina, mit 34:16,5 = 131,0 km/h die BMW-Zeit von
Schnitzer und fuhr mit 1:46,4 auch die schnellste Runde (Schnitzer 1:46,7)!
Ziemlich niedergeschlagen erschien dann Manfred Schiek (auf Mercedes
300 SE) zusammen mit den übrigen Konkurrenten der beiden großen
Klassen am Start. „Die Cortina-Zeit zu unterbieten, ist mit dem schweren
300 SE nahezu unmöglich“, meinte Schiek noch kurz vor dem Start,
„aber versuchen kann man´s ja trotzdem mal“. In einer alles riskierenden
und an der äußersten Grenze des Möglichen liegenden
Fahrt á la Eugen Böhringer spulte Schiek eine Rekord-Runde
nach der anderen ab — bis er sich in der 9. Runde beim Anbremsen der
S-Kurve komplett drehte und zum völligen Stillstand kam. Damit
schien der Kampf um die Gesamt-Bestzeit und die 1000 Mark zugunsten
des Engländers gelaufen zu sein, denn durch diesen Rutscher gingen
ja mindestens 8-10 Sekunden verloren und Schiek hätte bei den bisher
gefahrenen Rundenzeiten ohnehin vielleicht nur ganz knapp vor dem Cortina
gelegen.
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Aber die Sensation sollte noch kommen: In den folgenden Runden wuchs das
einstige Motorrad-Gelände-As über sich selbst hinaus und erreichte
die absolute Klasse eines Eugen Böhringer, der dieses Auto kaum noch
brutaler und schneller über den Kurs gebracht hätte! Noch einmal
entstand eine gefährliche Situation, als der 300 SE genau wieder an
der gleichen Stelle wie beim ersten Mal völlig quer stand, aber im
letzten Moment von Schiek noch abgefangen wurde. Und dann kam die Zieldurchfahrt
- Manfred Schiek konnte seine Gesamtzeit selbst nicht glauben: 34:13,7 =
131,2 km/h! Der Beifall der 50 000 Zuschauer wollte nicht aufhören,
als der ruhige und bescheidene Schwabe auf dem Siegerpodium stand. Als schließlich
noch bekannt wurde, daß er mit 1:45,9 = 133,9 km/h auch die schnellste
TW-Runde des Tages gefahren hatte, waren erneute spontane Beifalls-Kundgebungen
nicht mehr aufzuhalten, und Manfred Schiek wurde zum erklärten Publikums-Liebling
von Nürnberg. Daran vermochte auch die großartige Leistung von
Gerhard Mitter im Achtzylinder-Porsche-Spyder nichts mehr zu ändern.
Dieses Rennen war wieder einmal mehr ein klarer Beweis dafür, daß
die wirklich schnellen Tourenwagen von heute die Stars von morgen sind!
Doch nun zu den übrigen Konkurrenzen. Da wären die Sportwagen
und Prototypen. Das zusammengestellte Starterfeld konnte sich schon sehen
lassen und war für Deutschland (wenn man vom 1000-km-Rennen absieht)
ein seltenes Bild. Werksseitig waren Porsche und Abarth da. Mitter im
Achtzylinder-Spyder, Hans Herrmann im offenen 2 Liter Abarth OT. Dazu
kamen mit Sepp Greger/Elva-BMW (dem man einen Werkswagen gegeben hatte)
Chris Williams/ Lotus-BMW, Toni Fischhaber Lotus-BMW, Jörg Wyssbrod/Elva-BMW
und Sydney Charpilloz/Elva-BMW weitere ausgezeichnete Piloten. Walter
Schatz fehlte im Hauptrennen, weil an seinem Achtzylinder-Lotus-BRM im
Training die Zylinderkopf-Dichtung durchbrannte. Nicht zu vergessen den
Martini-Prototyp mit 2 Liter BMW Triebwerk, den Heinrich Schütz aus
Hagen bereits im Training zu achtbaren Rundenzeiten brachte. Aber um ganz
vorne mitzumischen, fehlt diesem Auto doch noch so einiges!
Die Überlegenheit
von Mitter und dem Porsche-Achtzylinder wurde schon in den ersten drei
Runden des Rennens sehr deutlich. Nur der Engländer Williams im Lotus-BMW,
Fischhaber im Lotus-BMW, Hans Herrmann im Abarth OT und Sepp Greger im
Elva-BMW konnten in etwa mithalten. Als jedoch wenig später Williams
und Fischhaber kollidierten, Sepp Greger schiebend bei Start und Ziel
erschien und Hans Herrmann schließlich mit Motorschaden an den Boxen
aufgab, war ein klarer Porsche-Sieg von niemandem mehr zu verhindern.
Mitter unterbot im Verlauf des über 26 Runden führenden Rennens
die Vorjahres-Bestzeit des Schweizers Karl Foitek (der auf Lotus Climax
2 Liter in seiner schnellsten Runde 1:33,1 = 151,9 km/h gefahren war)
ganz erheblich, setzte mit 1:30,8 = 156,2 km/h eine neue absolute Rekord-Marke
für den 3,9 km langen Kurs. Die beiden Elva-BMWs mit den Schweizern
Wyssbrod und Charpilloz kamen hinter Mitter auf die Plätze zwei und
drei, während Toni Fischhaber nach unverschuldeter Kollision doch
noch - allerdings mit Rundenrückstand - vierter wurde.
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Auch
bei den Grand-Tourisme-Wagen, wo es genauso, wie bei den Tourenwagen um
Rundstrecken-Meisterschaftspunkte ging, hatte Porsche einen Werkswagen
eingesetzt, den man dem Stuttgarter Günther Klass anvertraute. Private
Porsche 904 GTS waren von Udo Schütz und Rolf Stommelen gekommen,
während Abarth einen Werkswagen mit Hans Herrmann an den Start brachte.
Mit einem weiteren Abarth 2000 GT war außerdem Privatfahrer Wolfgang
Harder mit von der Partie. Zwischen Klass und Schütz gab es bei wechselvoller
Führung ein hartes und erbittertes Ringen um die Spitze, das schließlich
der Stuttgarter für sich entschied, nachdem Udo Schütz wegen
eines Bremsschadens stark zurückgefallen war. Hans Herrmann, der
mit dem 2-Liter-Abarth Trainingsschnellster geblieben war, fuhr konstant
an dritter Stelle und rückt nach dem durch den Bremsschaden verursachten
Rutscher von Schütz auf Platz zwei nach. An dieser Reihenfolge änderte
sich bis zur Zieldurchfahrt nichts mehr — Klass vor Herrmann und Schütz.
Abarth-Privatfahrer Harder konnte nicht besonders viel mitreden, weil
es ein vom Training stark angeschlagenes Getriebe nicht zuließ.
Übrigens fiel bei diesem Rennen auch der GT-Rekord von Peter Nöcker,
der - auf dem Leichtmetall-Jaguar-E von Peter Lindner † gefahren
— seit dem Vorjahr auf 1:35,8 = 147,5 km/h stand. Günther Klass fuhr
im Werks-904-GTS seine schnellste Runde jetzt mit 1:32,9 = 152,6 km/h.
Die Zeiten der Porsche 904 GTS und des Werks-Abarth 2000 GT (denn auch
Schütz und Herrmann erreichten Rundenzeiten um 1:33) lassen klar
erkennen, daß leistungsmäßig nicht mehr allzuviel Abstand
zu den Sportwagen besteht, bei denen außer Mitter nur noch Williams,
Fischhaber und Herrmann unter 1:33 lagen.
Den Lauf der GT-Wagen bis 1600 ccm holte sich wie auf der Berliner Avus
wieder Jochen Neerpasch auf Lotus-Elan-Racing, nur mit dem Unterschied,
daß er diesmal einen unangefochtenen Start-Ziel-Sieg herausfuhr.
Sepp Greger schaffte im legendären Porsche Carrera nach dem Ausfall
des Müncheners Herbert Wrobel/Alfa GTZ den zweiten Platz vor Mathias
Wasel/Alfa GTZ, und auf dem vierten Rang bereits der schnellste Porsche-Super-90
unter dem Stuttgarter Lothar Dongus. Auch bei den 1,3 Liter GT-Wagen wiederholte
Hans-Dieter Dechent auf Abarth-Simca seinen Avus-Sieg, nur wäre es
hier wahrscheinlich sehr hart geworden, wenn der anfangs klar vorne gelegene
Kurt Geiß/Abarth-Simca nicht vorzeitig mit Kühlwasserschlauch-Bruch
hätte ausscheiden müssen.
In der Rundstrecken-Meisterschaft
ergibt sich jetzt folgender Stand (Flugplatz-Rennen Mainz-Finthen und
Solitude noch nicht berücksichtigt): Bei den Tourenwagen liegt Manfred
Schiek/Mercedes 300 SE mit 36 Punkten klar vorne, während die Grand-Tourisme-Wagen
von Hans-Dieter Dechent und Jochen Neerpasch punktgleich (je 34 Punkte)
angeführt werden. Mit 32 Zählern folgt Udo Schütz/Porsche
904.
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